"Bitcoin sprengt jede vernünftige Risikogrenze"

Co-Pierre Georg forscht in Frankfurt zu Blockchain-Technologien. Von Kryptowährungen wie Bitcoin hält er allerdings nichts - im Gegenteil: Er warnt Privatanleger deutlich vor den Risiken.

Die Kryptomärkte spielen seit Monaten verrückt. Nach der Wahl von Donald Trump ist der Kurs des Bitcoin sogar mehrfach über die Marke von 100.000 Dollar gestiegen. Macht das noch Sinn oder befinden wir uns in einer Blase?

Co-Pierre Georg: Ganz klar: Wir erleben im Moment einen Hype, der durch Kommunikation in sozialen Medien befeuert wird. Dass Donald Trump zuletzt seinen eigenen Memecoin herausgebracht hat, ist bezeichnend. Ich habe in der Finanzkrise promoviert und kann nicht einfach auf die Kryptomärkte schauen und sagen: Das passt schon so. Alle Warnsignale, die wir damals hatten, sehen wir heute wieder, und zwar konzentrierter denn je. Wir haben ein Level erreicht, an dem wir Kleinanleger deutlich vor den Risiken warnen müssen.

Sie sind doch Professor für Blockchain-Technologien. Sind Sie von der eigenen Technologie nicht überzeugt?

Doch, aber Blockchain wird oft mit Kryptowährungen gleichgesetzt. So einfach ist das nicht. Krypto ist für mich eine Auskopplung, die rein spekulativen Zwecken dient.

Das müssen Sie erklären.

Es gibt drei Motive für Geldnachfrage: Transaktion, Wertaufbewahrung und Spekulation.

Sprich: Um sich Dinge zu kaufen, Geld zu sparen oder um auf eine Wertsteigerung zu spekulieren.

Ja, und für die ersten beiden Motive sind Kryptowährungen ungeeignet. Beispiel Transaktionsmotiv: Ich habe lange bei der Bundesbank gearbeitet und tiefe Einblicke in die Funktionsweisen von Zahlungssystemen erhalten. Selbst die beste Blockchain ist teurer, langsamer und umweltschädlicher als zum Beispiel unser Target2-System. Auch beim Thema Sicherheit, die ja immer wieder als Stärke von Kryptowährungen angeführt wird, stelle ich fest: Target2 wurde in all den Jahren noch nicht ein einziges Mal gehackt.

Und was ist mit dem Narrativ, dass Kryptowährungen wie Ripple weniger entwickelte Länder an die globale Finanzwelt anschließen?

Die Hälfte der Menschen in Entwicklungsländern hat kein Smartphone und nur wenige mehr haben Zugang zum Internet. Für sie kommen Kryptowährungen also nicht infrage. Zu Banken haben sie keinen Zugang, weil sie kein Einkommen oder keine Kredithistorie haben. Das ist das wahre Problem, nicht die technologischen Möglichkeiten.

Das Transaktionsmotiv ist es also nicht. Wie steht es um das "digitale Gold", wovon Bitcoin-Anhänger ja schon länger sprechen - also das Wertaufbewahrungsmotiv?

Das ist ein gängiges Narrativ. Doch ein Wertspeicher ist definitionsgemäß relativ schwankungsarm, auch in der kurzen Frist. Bitcoin ist um ein Vielfaches volatiler als die volatilsten Rohstoffe der Welt. Wenn ich Bitcoin in ein klassisches Asset-Pricing-Modell einsetze, das mir zeigt, wie viel ich von jeder Anlageklasse besitzen soll, zeigt es mir bei Bitcoin einen Wert von null an. Ein Investment in Bitcoin sprengt jede vernünftige Risikogrenze. Dazu kommt noch ein anderer Punkt, der den Vergleich mit Gold in sich zusammenfallen lässt.

Und zwar?

Der Markt für Gold ist strikt reguliert. Er ist transparent, da weiß jeder, wie sich die Preise bilden. Das ist bei Kryptowährungen ganz anders. Wir wissen nicht, wer die Leute hinter den großen Bitcoin-Beständen sind oder nach welchen Regeln sie handeln. Wenn sie wollten, könnten sie sich absprechen und den Markt zum Einsturz bringen. Das kann nicht die Definition eines dezentralen Wertspeichers sein. Dezentral ist das Ganze ohnehin nicht.

Warum?

Ich rede von der Vermögensverteilung in Bitcoin. Sie ist, gemessen am Gini-Koeffizienten, höher als jemals zuvor in irgendeinem Land zu irgendeinem historischen Zeitpunkt. Nie zuvor hat es eine stärkere Vermögenskonzentration auf weniger Menschen gegeben als beim Bitcoin. Man stelle sich einmal vor, dass über 50 Prozent des globalen Vermögens auf eine Handvoll Menschen aufgeteilt ist. So ist das aber beim Bitcoin.

Das waren das Transaktions- und das Wertaufbewahrungsmotiv. Bleibt das Spekulationsmotiv. Wie sehen Sie das?

Das Spekulationsmotiv trifft am ehesten zu. Ein Spekulationsmotiv ist per se nichts Schlechtes. Es ist eine Art Informationsgenerierung: Nur diejenigen, die glauben, über bessere Informationen über eine Firma oder ein Asset zu verfügen als andere, spekulieren. Wenn alle ihre Informationen teilen, hilft das, gute von schlechten Firmen zu unterscheiden. Genau das passiert am Aktienmarkt. Aber Spekulation in einem intransparenten, unregulierten Markt schafft nicht unbedingt Informationen und ist hochriskant.

Wann platzt denn die Kryptoblase?

Das Problem ist: Blasen platzen normalerweise nur einmal. Allein der Bitcoin ist schon mindestens fünfmal geplatzt. Das Modell von Boom and Bust, wie Ökonomen es kennen, greift hier zu kurz. Man muss Krypto eher als kleinen Markt verstehen, der hochgradig manipuliert ist. In einem solchen Modell sind diese Preisbewegungen gar nicht mehr so verrückt. Wollen Sie ein Beispiel?

Gerne.

Für den letzten Boom-Zyklus gibt es Evidenz, dass dieser von der Kryptobörse Bitfinex getrieben wurde. Bitfinex hat Kredite vom Stablecoin Tether erhalten, um Bitcoin zu kaufen.

Stablecoins - also besonders wertstabile Kryptowährungen, die normalerweise mit einer Fiat-Währung wie dem Dollar eins zu eins gedeckt sind …

Ja, und normalerweise sollten Stablecoins in relativ sichere Assets wie Staatsanleihen investieren. Das Problem ist: Tether und Bitfinex haben letztlich den gleichen Mutterkonzern. So weit, so unreguliert. Aber: Tether darf als Stablecoin diese Art riskanter Kredite eigentlich gar nicht vergeben, und erst recht nicht an ein Schwesterunternehmen. In der regulierten Bankenwelt würden hier sämtliche Alarmglocken angehen. Das ist eines von vielen Zeichen, dass sich der Markt die Preise selbst macht.

Aber noch einmal die Frage: Wie lange geht das gut?

So lange, wie Großanleger weiter Schulden aufnehmen können, um Bitcoin zu kaufen. Das funktioniert nur so lange, wie der Kurs steigt. Wenn Bitcoin-Wetten wie Microstrategy und Tether in Probleme geraten, Menschen einfach kritischer werden oder die Politik einschreitet, dann geht es sehr schnell nach unten.

Wie schnell?

Das kann man durchaus mit der Finanzkrise 2008 vergleichen. Damals haben wir gedacht, dass der Markt für Mortgage-backed Securities stark diversifiziert sei. Am Ende hat sich herausgestellt, dass erhebliche Risiken bei einzelnen Marktteilnehmern saßen, die, sobald sie realisiert wurden, eine wahnsinnige Abverkaufsspirale in Gang gesetzt haben. Nur Zentralbanken konnten sie stoppen, weil Banken reguliert sind. Niemand würde sich jetzt hinstellen und Kryptobörsen wie Bitpanda oder Binance retten.

Sehen Sie denn Risiken, dass der klassische Finanzmarkt auch davon betroffen wäre? Aktuell machen Kryptowährungen ja nicht einmal ein Prozent der gesamten Assets aus.

Diese Größe des Kryptomarktes ist trügerisch. Wir haben bei Lehman Brothers auch gedacht, dass die Ausfälle nicht so groß sind. Das Problem sind die Verflechtungen untereinander. Dennoch halte ich die Gefahr von solchen Ansteckungseffekten im Fall von Krypto für recht gering, weil das Risikomanagement von Banken extrem wachsam bei dem Thema ist. Anders ist das bei Privatanlegern und Hedgefonds. Da kann es zu unschönen Einzelschicksalen kommen.

Und was wäre, wenn US-Präsident Trump Ernst macht und eine strategische Bitcoin-Reserve aufbaut? Das wäre doch das ultimative Signal für Anleger, dass die US-Regierung hinter Krypto steht und im Zweifel einspringt.

Na ja, was wird dann passieren? Der Preis wird erstmal steigen. Es ändert aber nichts an den grundsätzlichen Problemen, sondern macht sie nur noch schlimmer. Was wäre, wenn der nächste US-Präsident die Bitcoin dann wieder verkaufen will? Davon abgesehen halte ich die Chance ohnehin nicht für ausgesprochen hoch. Trump hat nur zwei Möglichkeiten, eine Krypto-Reserve einzuführen: über die Notenbank Fed und den Kongress. Beides sehe ich nicht.

Warum?

Zwingt er die Fed, würde er das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Notenbank massiv stören. Das kann Trump um keinen Preis wollen. Würde er die Reserve über das Finanzministerium aufbauen, braucht er eigentlich den Kongress. Dort müsste er Kredite für Bitcoin verteidigen. Jeder Bitcoin würde gegen Investitionen in die Realwirtschaft aufgerechnet werden. Selbst bei einem republikanischen Kongress wäre ich mir nicht sicher, ob das durchgeht. Vielleicht ignoriert Trump den Kongress, aber auch das wäre auf Sand gebaut.

Wenn Trump das dennoch durchzieht: Wäre denn eine solche Reserve in Deutschland denkbar? FDP-Chef Christian Lindner steht ja beispielsweise hinter der Idee.

Ich würde eindringlich davor warnen. Wenn die USA einsteigen, führt das zu einem massiven Markteingriff und gegebenenfalls zu einer noch größeren Konzentration des Marktes. Er wäre noch weniger frei als vorher. Und vergessen Sie nicht: Was war hier los, als die EZB ein paar griechische Staatsanleihen gekauft hat? Die Diskussion will ich erleben, wenn im Bundestag der Kauf von Bitcoin diskutiert wird.

Sie sagten zu Beginn, Blockchain sollte nicht mit Kryptowährungen gleichgesetzt werden. Welchen Nutzen sehen Sie in der Technologie?

Als Coder schaue ich vor allem auf das Thema Datenschutz. Ganz stark vereinfacht können wir mit einer Blockchain das Beste der alten PC-Welt ins Cloud-Zeitalter führen.

Was ist daran wünschenswert?

Der Personal Computer war das goldene Zeitalter des Datenschutzes. Alles war lokal abgespeichert. Mit dem Aufkommen des Internets und erst recht, seitdem wir unsere Daten in die Cloud verlagern, haben wir die Kontrolle über unsere Daten an Microsoft, Amazon & Co. abgegeben. Mit Blockchain gibt es nun eine besonders clevere und intelligente Lösung, diese Daten wieder unter unsere Kontrolle zu bringen. Kein Cloud-Betreiber könnte die Daten dann kopieren, auslesen und weiterverwerten. Manche Menschen sind hier möglicherweise naiv - aber längst nicht alle Firmen, die auf sensiblen Daten sitzen. Das ist ein entsprechend großer Markt, und die echte Fachdiskussion über Blockchain dreht sich in der Regel auch eher um solche Lösungen. Krypto wird hier als Nebenprodukt gesehen.

Sie sind seit September 2024 Nachfolger des plötzlich verstorbenen Philipp Sandner - der in der Kryptoszene unglaublich beliebt war. Wie tritt man so ein Erbe an?

Das ist natürlich wahnsinnig schwer, weil Philipp enorme Pionierarbeit geleistet hat. Ohne ihn wäre das Thema Blockchain und Krypto niemals so in der Breite verankert worden. Er hat im besten Sinne für seine Sache gekämpft. Diese Aufklärungsarbeit will ich natürlich fort- und in die nächste Phase führen. Ich will unser Blockchain-Center technologieorientierter aufbauen und praxisnahe Lösungen entwickeln.

Insgesamt scheint es aber so, dass Sie sich inhaltlich stark von Philipp Sandner unterscheiden. Oder täuscht das?

Doch, wir bewerten Blockchain-Technologien schon sehr unterschiedlich. Ich bin deutlich kritischer, was zum Beispiel Kryptowährungen angeht. Philipp kam von der Innovationsforschung und hat das Thema als Ganzes überaus erfolgreich ins Bewusstsein von Forschung, Praxis und Öffentlichkeit gebracht. Das war als erster Schritt notwendig und ist sein bleibendes Verdienst. Ich würde mich eher als Klempner des Finanzsystems sehen - ich komme vom Coden und der Finanzstabilität, und suche immer nach speziellen Lösungen für konkrete Probleme. In diesem Sinne geht es mir darum, das Center gemeinsam mit dem Team und unseren Partnern in die nächste Phase zu führen.

Mit Co-Pierre Georg sprach Jannik Tillar.

Das Interview erschien zuerst bei capital.de