Volkswagen kämpft mit einem Gewinnrückgang um fast ein Drittel. Andere europäische Autohersteller trifft es noch schlimmer. Doch der vielfach zu hörende Abgesang auf die Autoindustrie ist übertrieben.
Volkswagen geht es schlecht. Das ist seit Langem überall zu hören und zu lesen. Jüngst wurden alle Experten wieder einmal bestätigt, die es immer schon gewusst hatten: Volkswagens Gewinn brach um 30 Prozent ein gegenüber dem Vorjahr, BMW meldet kurz darauf einen ähnlichen Gewinnrückgang. Eine der zu diesem Anlass häufig wiederholte Diagnose: Die europäische und insbesondere die deutsche Autoindustrie hätten den Trend der Elektromobilität verschlafen. Aber stimmt das? Vielleicht sollte man einmal in Erinnerung rufen, dass Volkswagen bereits vor über zehn Jahren einen rein elektrisch angetriebenen Golf im Angebot hatte. Noch etwas früher, nämlich 2013, kam BMW mit dem i3 auf den Markt, der auch gut angenommen wurde: Eine Viertelmillion Exemplare wurden in 74 Länder verkauft. Nicht schlecht, oder?
Sicher: Die Chinesen machen viele Dinge richtig, darunter einige entscheidende. Sie beherrschen die komplette Wertschöpfungskette des Lithium-Ionen-Akkus von der Rohstoffgewinnung bis zur Fertigung. Das sorgt für enorme Preisvorteile. Hinzu kommen die Subventionen des chinesischen Staats. Die Folge: Kampfpreise.
Aber heißt das, dass die europäische Autoindustrie zum selben Schicksal verdammt ist, wie der einst weltweit führende Handy-Hersteller Nokia, der den Umbruch vom Handy- zum Smartphonezeitalter verschlief und unterging?
Auch nach dem Gewinneinbrauch bleibt ein Milliardenprofit
Was den Komplex der Batterieproduktion angeht, müssen die Europäer umdenken und nachholen. Doch produktseitig stehen sie exzellent da. Auch bei den Elektroautos. Jeder, der über die deutsche Automobilindustrie schimpft und die chinesische gleichzeitig in den Himmel lobt, sollte unbedingt mal ein chinesisches Auto Probe fahren.
Es gibt chinesische Marken, die den Europäern dicht auf den Fersen sind. Das sind aber erstens wenige. Und zweitens heißt dicht auf den Fersen eben nicht ebenbürtig. Bei den Antriebssträngen, dem Finish und der Materialauswahl ist unsere heimische Autoindustrie immer noch unangefochten. Und selbst bei den Akkus sind die Deutschen top. Sie bestellen die Rohstoffe zwar bei den Chinesen und lassen mitunter bei ihnen fertigen, aber die Entwicklung und der Zellchemie haben unsere Ingenieure im Griff. Nach wie vor steht die deutsche Autoindustrie für höchste Qualität und für Innovation. Mercedes beispielsweise beherrscht den automatischen Spurwechsel schon seit fast zehn Jahren.
Wenn die verwöhnten Wolfsburger jetzt einen Gewinnrückgang von einem Drittel erleiden, mag das aus der Perspektive eines Gewinnertypen bitter sein. Aber sie machen immer noch einen satten, zweistelligen Milliardenprofit. Stellantis vermeldete kürzlich sogar 70 Prozent Gewinnrückgang, BMW zuletzt gut 35 Prozent. Und es ist nicht so, dass chinesische Hersteller Profitmaschinen wären. Einer der besonders renommierten chinesischen Autokonzerne Geely - Eigner von klangvollen Automarken wie Lotus, Polestar und Volvo - verzeichnete in den letzten Jahren auch "nur" dreistellige Millionen- und keineswegs Milliardengewinne.
Chinesen werden chinesisch kaufen
Volkswagen hat erhebliche strukturelle Probleme: Zu hohe Personalkosten und Überkapazitäten gehören dazu. Die Abhängigkeit vom riesigen chinesischen Markt ist schädlich. Chinesische Kunden werden künftig eher chinesisch kaufen, genauso wie deutsche Kunden meist deutsch und amerikanische Kunden fast immer amerikanisch kaufen. Selbst wenn chinesische Produkte nur zu 75 Prozent das Niveau europäischer erreichten, wären sie immer noch gut genug, um für heimische Interessenten zumindest eine Option darzustellen, noch dazu vor dem Hintergrund günstiger Preise.
Unsere Autoindustrie muss effizienter werden. Denn es werden noch hohe Kosten auf sie zukommen. Die Umstellung auf Elektromobilität wird viel Geld verschlingen, und wir wissen noch gar nicht, wie lange und wie sehr sich europäische und US-Kunden elektrischen Antrieben versperren werden. Porsche bekommt diesen Umstand gerade besonders hart zu spüren. Die Hersteller werden deshalb noch lange zweigleisig fahren müssen. Die deutsche Autoindustrie muss zur Kenntnis nehmen, dass die Chinesen künftig noch bessere Autos bauen werden. Ob sie die Deutschen in den Kernkompetenzen einholen können, sei dahingestellt, zumal die Anforderungen chinesischer Kunden völlig andere sind als die von deutschen Kunden.
Der Wettbewerb auf dem größten Automarkt, also dem chinesischen, wird noch rauer werden. Die Zolleskapaden in den USA machen die Situation auf dem Weltmarkt nicht leichter. Aber wenn sie wirkungsvolle Effizienzprogramme anpacken, können und werden sie auch künftig profitabel sein. Ein Schicksal wie Nokia droht den deutschen Autokonzernen nicht: Die finnische Handymarke wurde damals von Apples innovativem iPhone kalt erwischt. Die deutschen Autobauer haben sich bisher nicht überrumpeln lassen und der Trend spricht dafür, dass das einstweilen auch nicht passieren wird.