Warum vertragen Europäer oft indisches Essen nicht?

Markus Söder muss seine Indien-Reise wegen eines akuten Magen-Darm-Infekts abbrechen. Er ist nicht der erste Europäer, den das Essen in dem südasiatischen Land in die Knie zwingt. Doch woran liegt das?

Seit Samstag ist Markus Söder in Indien zu Gast. Der CSU-Chef will dort deutsche Autos und Waffen bewerben. Nebenbei geht der Foodblogger seiner Leidenschaft nach: Essen. Doch gerade das wird dem Politiker offenbar zum Verhängnis. Söder muss die Reise kurzfristig abbrechen. Er hat einen akuten Magen-Darm-Infekt. Er ist dabei nicht der erste Europäer, den das Essen in Indien in die Knie zwingt. Laut einer Umfrage des Münchner Tropeninstituts berichtet etwa jeder zweite Reiserückkehrer von Durchfall. Doch woran liegt das?

Die einfachste Antwort lautet wohl: Weil Verdauungssystem und Immunsystem von Europäern nicht auf die dortigen Bedingungen angepasst sind. Vor allem die Hygienestandards bei der Zubereitung und Lagerung von Lebensmitteln sind in vielen Teilen Indiens deutlich niedriger als in Europa.

Hygiene und Lebensmittelsicherheit

Das Bewusstsein für Lebensmittelsicherheit ist in dem südasiatischen Land noch vergleichsweise jung. Die Food Safety and Standards Authority of India (FSSAI) wurde erst 2006 gegründet und ist vergleichbar mit dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Deutschland. Die indische Behörde ist zwar bemüht, aber die Umsetzung der Vorschriften ist vielerorts noch lückenhaft, insbesondere bei kleineren Restaurants oder Straßenständen. Während exportorientierte indische Lebensmittelbetriebe für den internationalen Markt oft hohe Standards einhalten, sind diese im Inland nicht immer gewährleistet.

So sind laut einer "Nature"-Studie aus dem vergangenen Jahr die Handhygiene und die sanitären Bedingungen in Indien vielerorts noch unzureichend. Besonders nach dem Toilettengang werden die Hände demnach häufig nicht gründlich genug gewaschen, was die Verbreitung von Krankheitserregern begünstigt.

Doch auch die Hitze spielt eine wichtige Rolle. Denn gerade in den Sommermonaten herrschen in Indien nicht selten über 40 Grad. Diese hohen Temperaturen fördern das Wachstum und die Vermehrung von Bakterien, Viren und Parasiten. Fleisch und Fisch verderben schnell - und die Einhaltung der Kühlkette ist nicht immer gewährleistet. Besonders auf Hotel-Buffets oder bei Straßenständen besteht daher ein erhöhtes Risiko für Lebensmittelvergiftungen.

Verunreinigtes Leitungswasser

Lebensmittel sind allerdings nicht die einzige Gefahrenquelle in Indien. Auch im Leitungswasser lauern Keime. Zwar verfügen einige Städte wie Mumbai und Delhi über moderne Wasseraufbereitungsanlagen, die an der Quelle sauberes Wasser liefern. Doch durch die marode und oft undichte Infrastruktur, wie alte Rohre oder verschmutzte Wassertanks, können Krankheitserreger ins Leitungswasser gelangen, bevor es den Verbraucher erreicht.

Zusätzlich ist das Grundwasser in vielen Regionen mit natürlichen und industriellen Schadstoffen wie Arsen, Schwermetallen, Nitraten und Chlornebenprodukten belastet, die durch die Wasseraufbereitung nicht immer vollständig entfernt werden können. Besonders Arsen stellt in einigen Landesteilen ein gravierendes Problem dar, da es im Gestein vorkommt und ins Grundwasser gelangt. Millionen Menschen leiden in Indien an einer chronischen Arsenvergiftung, Zehntausende sterben jedes Jahr daran.

Ein weiteres Problem ist das Fehlen eines flächendeckenden Abwassersystems: Rund 90 Prozent der Abwässer aus Haushalten und Industrie werden ungeklärt in den Wasserkreislauf zurückgeführt, was die Verschmutzung von Flüssen, Seen und Grundwasser weiter verschärft. Moderne Kläranlagen wie in den Metropolen Mumbai oder Dehli sind die Ausnahme. Vor allem in ländlichen Gebieten ist die Wasseraufbereitung nur unzureichend oder erst gar nicht vorhanden. Daher ist das Risiko für Infektionen durch das Trinken von Leitungswasser sehr hoch.

Keime in Eis und Milch - und auf Obst und Gemüse

Dass man das Leitungswasser in Indien nicht trinken sollte, ist den meisten Touristen jedoch bewusst. Tückisch ist allerdings, dass man es manchmal über Umwege trotzdem konsumiert - in der Regel unbewusst. So werden etwa Eiswürfel oft aus Leitungswasser hergestellt. Aber auch Obst und Gemüse, das nicht geschält oder gekocht wurde, kann mit Keimen aus verunreinigtem Wasser belastet sein. Zudem ist auch Vorsicht bei Säften und Smoothies geboten, die mit Leitungswasser gestreckt sein können.

Milch und Milchprodukte sind für Reisende aus Europa ebenfalls mit gewissen Risiken verbunden. Studien zeigen, dass ein erheblicher Anteil der Milchproben in Indien mit Schadstoffen belastet ist. Dazu zählen Antibiotika, Pestizide, aber auch das Mykotxin Aflatoxin M1. Das entsteht, wenn Kühe mit schimmelpilzbelastetem Futter gefüttert werden - und ist krebserregend. In einer Untersuchung überschritten 94 Prozent der positiven Proben die von der EU festgelegten Grenzwerte für Aflatoxin M1.

Neben chemischen Stoffen können auch Bakterien und andere Mikroorganismen in Milch und Milchprodukten vorkommen. Vor allem, wenn sie nicht pasteurisiert oder ausreichend gekühlt wurden, besteht die Gefahr, sich mit Salmonellen, Listerien, Campylobacter oder Escherichia coli zu infizieren. Milch, die für Chai oder andere heiße Getränke verwendet wird, ist meist abgekocht und daher relativ sicher. Gefährlicher wird es bei kalten Milchprodukten wie Eis, Lassi oder offenem Joghurt.

Im Englischen gibt es eine Faustregel für Reisende: "Boil it, cook it, peel it, or forget it." Übersetzt bedeutet es so viel wie: Wasser abkochen und Lebensmittel erhitzen oder schälen - sonst die Finger davon lassen. Das empfiehlt unter anderem die US-Gesundheitsbehörde CDC Menschen, die in tropische oder subtropische Gebiete reisen. Allerdings haben Studien gezeigt, dass man, auch wenn man diese Regeln befolgt, erkranken kann.

Größere Gefahr in Luxushotels

Selbst bei größter Vorsicht lassen sich demnach Infektionen nicht immer vermeiden. Was nun der genaue Grund für Söders Erkrankung war, ist unklar. Oft wissen das Betroffene einfach nicht, weil es in der Regel eine Kombination aus den genannten Gefahren ist: niedrigere Hygienestandards, ungewohnte Keime, Hitze und kontaminiertes Wasser.

Interessant ist allerdings, dass entgegen der landläufigen Erwartung Reisediarrhö in Luxushotels häufiger vorkommt als in Unterkünften mittlerer Klasse, schreibt Mikrobiologe David Diemert in der Fachzeitschrift "Clinical Microbiology Reviews". Grund könnte sein, dass sich die Urlauber durch das gehobene Ambiente sicherer fühlen und nicht so stark auf Hygieneregeln achten. Möglicherweise spielt demnach auch eine Rolle, dass das Essen in Luxusherbergen aufwändiger und häufiger in Handarbeit zubereitet wird als in preiswerten Unterkünften, wo öfter Fertiggerichte auf den Tisch kommen. Je häufiger ein Lebensmittel berührt wird, umso größer ist das Kontaminationsrisiko.