Kretschmer stellt erneut Russland-Sanktionen infrage

Die CDU will mit CSU und SPD die kommende Bundesregierung bilden. Erneut fällt einer der beteiligten Verhandler mit Kritik an den Russland-Sanktionen auf: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer.

Mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat sich binnen weniger Tage ein weiterer CDU-Verhandler in den laufenden Koalitionsgesprächen mit CSU und SPD für eine andere Sanktionspolitik im Umgang mit Russland ausgesprochen. "Wir schaden uns mittlerweile mehr, als dass wir irgendeine Wirkung in diesem Land erreichen", sagte Kretschmer bei ntv. Der Christdemokrat betonte zudem, die durch die Grundgesetzänderung massiv ausgeweitete Aufrüstungsoffensive sei unabhängig vom russischen Machthaber Wladimir Putin notwendig. "Wir müssen dafür sorgen, dass wir nicht aufrüsten wegen Putin, sondern uns sicher machen." Und weiter: "Man kann nur in Frieden leben, wenn man sich sicher aufstellt."

Vor Kretschmer hatten sich mit Jan Heinisch aus Nordrhein-Westfalen und Thomas Bareiß aus Baden-Württemberg zwei an den Verhandlungen beteiligte Christdemokraten für eine Wiederaufnahme russischer Gasimporte zu einem unbestimmten Zeitpunkt ausgesprochen. Hierzu sagte eine Sprecherin der CDU: "Die Spekulationen über eine mögliche Wiedereröffnung der Pipeline Nord Stream 2 spiegeln Einzelmeinungen wider und entsprechen nicht der Position der CDU Deutschlands. Es bleibt unsere feste Überzeugung, dass Deutschland und Europa von russischen Gaslieferungen unabhängig werden müssen."

Anders als Heinisch und Bareiß ist Kretschmer ein absolutes Schwergewicht unter den CDU-Verhandlern. Im Januar hatte Kretschmer der "Berliner Zeitung" gesagt: "Das Nord-Stream-Problem muss gelöst werden". Deutschland habe sich seit der Sprengung von Nord Stream in neue Abhängigkeiten begeben - "mit dramatischen Folgen für die Energiekosten". Tatsächlich hatte Russland die Gaslieferungen einseitig eingestellt. Seither importiert Deutschland deutlich mehr Erd- und Flüssiggas aus Norwegen, Belgien, Niederlanden und den USA, das deutlich teurer ist als das russische Gas vor der Großinvasion der Ukraine.

Auch SPD-Ministerpräsident zweifelt an Sanktionen

Die Russland-Sanktionen sind in Ostdeutschland besonders unpopulär, auch in Brandenburg, wo SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht regiert. Dort ist vor allem die PCK-Raffinerie vom Weg des russischen Öls betroffen. "Wir brauchen eine Zukunft für das PCK, und das PCK ist immens wichtig für Brandenburg", sagte Woidke deshalb Anfang März. "Ich würde mich natürlich freuen, wenn wir auch wieder in normale wirtschaftliche Beziehungen zu Russland eintreten könnten." Ein "Zurückfahren der Sanktionen" sei aber erst nach einem Friedensschluss unter Einbeziehung der Ukraine möglich, so der Ministerpräsident.

Woidke verwies darauf, dass es sich bei dem Öl-Embargo um eine Entscheidung auf der Bundesebene handle, flankiert von Sanktionen auch auf EU-Ebene. "Es ist der Versuch weiterhin, Russland dazu zu bewegen, einer Friedenslösung für die Ukraine näherzukommen", sagte Woidke . "Dieses Ziel ist noch nicht erreicht worden." Die Forderung an die Bundesregierung sei allerdings zu prüfen, ob "diese Sanktionen Deutschland - in dem Falle Schwedt - mehr schaden als Russland".

CDU-Politiker Heinisch: Russland ist ein möglicher Lieferant

Jan Heinisch, Vizechef der CDU-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, sagte im "Politico"-Podcast: "Wenn eines Tages ein gerechter und sicherer Frieden gefunden ist, dann muss man auch wieder über den Kauf russischen Gases sprechen dürfen. Heinisch verhandelt als Mitglied der Arbeitsgruppe Klima und Energie mit bei der Ausarbeitung der energiepolitischen Leitlinien der werdenden Koalition von CDU, CSU und SPD. "Russland ist ein möglicher Lieferant unter mehreren auf der Welt." Ob das über den Seeweg oder per Pipeline geschehe, sei offen.

Vor kurzem hatte der baden-württembergische CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß in einem Beitrag im Netzwerk LinkedIn auf einen Bericht des "Handelsblatts" reagiert. Darin ging es um Gerüchte, die Inbetriebnahme der Gas-Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland könne Teil einer amerikanisch-russischen Vereinbarung zur Beilegung des Ukraine-Kriegs werden, womöglich unter Einbeziehung eines US-Investors.

Bareiß zeigte sich beeindruckt, "wie geschäftstüchtig unsere US Amerikanischen (sic) Freunde sind". Wenn wieder Frieden herrsche, die Beziehungen sich normalisierten, die Embargos früher oder später zurückgingen, "natürlich kann dann auch wieder Gas fließen, vielleicht diesmal dann in einer Pipeline unter US amerikanischer (sic) Kontrolle". Dies sei eine Entscheidung des Marktes.

Kritik von Grünen und aus dem Baltikum

Das vom Grünen-Politiker Robert Habeck geführte Bundeswirtschaftsministerium erklärte, die Pipeline sei nicht zertifiziert und rechtlich nicht zugelassen. "Die Frage der Nutzung der Pipeline stellt sich damit nicht." Julia Verlinden, stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion, sagte dazu der dpa: "Schwarz-Rot droht hier dem Land einen großen Schaden zuzufügen, wenn sie die hart errungene stärkere Unabhängigkeit von fossilen Energien aus Russland leichtfertig wieder aufs Spiel setzen." Die nächste Regierung müsse vielmehr den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben.

Grünen-Chef Felix Banaszak sagte den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND), er nehme "mit großer Sorge zur Kenntnis, dass es vor allem in der Union, aber auch in der SPD jetzt wieder die ersten Stimmen gibt, die auf einen Diktatfrieden zwischen Russland und der Ukraine spekulieren und die Gashähne wieder aufdrehen wollen."

Auch EU-Partner blicken mit Sorge auf Deutschlands Hunger nach günstiger Energie und die russische Versuchung. ntv.de befragte den ehemaligen Befehlshaber der estnischen Verteidigungskräfte und Vizevorsitzenden des EU-Verteidigungsausschusses, Riho Terras, nach den Äußerungen aus der CDU. "Wer so etwas sagt, versteht die Welt gar nicht. Billiges Gas aus Russland hat Deutschland süchtig gemacht. Es wäre auch schlecht für die deutsche Wirtschaft, sich wieder an russische Energielieferungen zu koppeln", sagte Ex-General Terras. "Die Abhängigkeit von russischer Energie kann man mit der Situation vergleichen, sich an einem kalten Wintertag in die Hose zu pinkeln: Für eine Sekunde wird es warm, aber danach wird es gefährlich."