Der Kurs von US-Präsident Trump widerspricht allen Erfahrungen und Experten-Meinungen. Doch was, wenn der nur Teil eines ganz anderen Plans ist. Dann würde es plötzlich eine Menge Sinn machen. Denn die Wut der geprellten Wähler müsste er nicht mehr fürchten.
Donald Trumps Zollkrieg ist in jeder Hinsicht widersinnig bis selbstzerstörerisch. In jeder Hinsicht, bis auf eine. Aber wenn die sich bewahrheiten sollte, wäre es ein noch viel größeres Problem.
Der US-Präsident scheint tatsächlich zu glauben, dass er die heimische Industrie mit Zöllen vor ausländischer Konkurrenz schützen und Importe so teuer machen kann, dass ausländische Produzenten deshalb wieder in den USA produzieren. Es wäre das erste Mal, dass so etwas auf breiter Front funktioniert. Alle ernst zu nehmenden Experten senken den Daumen.
Einige US-Gewerkschaftsbosse applaudieren trotzdem. Sie erhoffen sich für ihre Branchen eine Rückkehr zu alter Größe, zum Beispiel in der Stahlindustrie. Dem Freihandel trauern sie nicht nach, sie sahen ihn seit jeher als Bedrohung und Grund für den Niedergang.
Und es mag tatsächlich sein, dass der Freihandel bestimmte Branchen und ihre Heimatregionen unter Druck gesetzt hat, weil Produktionen aus Kostengründen abwanderten. Die Arbeiter blieben zunächst arbeitslos zurück und erlebten dann, wie die Produkte, die sie einst selbst fertigten, von Zöllen ungehindert in ihr Land kamen.
Warum sollte ein Unternehmen in den USA investieren?
Aber das ist evolutionärer Strukturwandel und ruft nach einem Staat, der die Betroffenen stützt und fördert. Nach der Rückkehr der Zölle ruft es nicht. Trumps Zölle werden die Preise für alle nach oben treiben. Die Leute werden ärmer, sie werden weniger kaufen (können). Nur wenn sie unbedingt müssen, werden sie die höheren Preise akzeptieren, die mit den Zöllen einhergehen - oder mit einer Produktion in Amerika, wenn es zu Verlagerungen käme. Allein: Warum sollte ein Unternehmen in einen US-Standort investieren, wenn er auf höhere Nachfrage vor Ort nicht zählen kann, andere Vorteile jedoch von den Zöllen und Gegenzöllen zunichtegemacht werden?
Einen Sündenbock wird Donald Trump dafür kaum finden. Er kann Nebelkerzen zünden, Nebenkriegsschauplätze bespielen oder einfach "flood the zone with shit". Wird es die Betroffenen davon abhalten, an der Wahlurne ihren Unmut zu äußern? Nicht auf Dauer, zumindest nicht die Wechselwähler, die letztes Mal für Trump gestimmt haben. Kurzum: Ökonomisch und politisch ergibt es überhaupt keinen Sinn, was Donald Trump gerade tut. Aller Voraussicht nach stärkt er nicht Amerika, nicht die Amerikaner, nicht seine Milliardärs-Freunde, nicht einmal sich selbst - und bei den nächsten Wahlen kommt vermutlich die Quittung. So die gängige, wenngleich ziemlich ratlose Lesart dessen, was da vor sich geht.
Wie aber sieht es aus, wenn man die selbstverständlichste aller Prämissen infrage stellt: dass es überhaupt noch einmal freie und faire Wahlen in den USA gibt? Wahlen, bei denen irgendjemand seinen Unmut über Trump artikulieren könnte? Was, wenn es ein Teil des Plans ist, unter dem einen oder anderen Vorwand anstehende Wahlen bis auf weiteres zu canceln - Donald Trump auf die Wähler also keine Rücksicht mehr nehmen muss?
Dann ergibt plötzlich alles, was er tut, deutlich mehr Sinn. Und die planvolle Gewöhnung an einen demokratiefernen bis demokratielosen Zustand läuft bereits.
- Es ist kein Zufall, dass Trump bislang nahezu ausschließlich per Präsidialdekret regiert und beide Parlamentskammern nicht gefragt werden, nichts beschließen - nichts zu sagen haben.
- Es ist kein Zufall, dass Trump große Teile seiner Dekrete formaljuristisch darauf stützt, thematische oder regionale Notlagen oder Notstände auszurufen, so auch für die Zölle. Nach dem Nazi-Vordenkerjuristen Carl Schmitt ist der Souverän stets der, der den Ausnahmezustand ausrufen oder beenden kann. Und der Souverän braucht keine Legitimation, auch durch Wahlen nicht: Der Souverän ist aus sich selbst heraus legitimiert. In der Demokratie ist es darum allein das (Wahl-)Volk.
- Es ist kein Zufall, dass Trump mit den Kampagnen gegen kritische Medien und kritische Justiz die Gewaltenteilung beschädigen will. Es geht nicht um die Kritik im Einzelnen, sondern um die Instanzen und Institutionen. Im Ausnahmezustand gibt es keine Gewaltenteilung.
Und schließlich: Donald Trump sieht sich selbst als politisch unverwundbar. Er könne auf offener Straße jemanden erschießen und würde trotzdem gewählt, hat er einmal gesagt. Er könne sich alles leisten, auch das Aussetzen von Wahlen? Andeutungen auf weitere Amtszeiten hat er bereits platziert. Sollte er damit in absehbarer Zeit auf echten Widerstand stoßen, gibt er entweder klein bei oder eskaliert.
Und Eskalation könnte heißen: An den Grenzen der Vereinigten Staaten einen Krieg anzuzetteln, der es ihm erlauben könnte, Wahlen bis auf weiteres für unmöglich oder illegal zu erklären. Natürlich wäre das ein erfundener Krieg, ein erfundener Grund. Aber Donald Trump hat auch die Gründe für seinen Zollkrieg erfunden. Kanada warf er zum Beispiel vor, eine Unmenge von Fetanyl in die USA zu schwemmen. Faktisch eine glatte Lüge. Egal. Viele Könige brauchten einen Krieg, um möglichst lange König zu bleiben.