Das ist ungewöhnlich für die AfD: Die erste Sitzung der neuen Bundestagsfraktion lief fast geräuschlos und deutlich kürzer als üblich. Dabei gab es im Vorfeld Diskussionen über zwei umstrittene Personalien.
Es war die erste Sitzung der neuen AfD-Bundestagsfraktion und gleich gab es einen Skandal. Der neue Fraktionsvorstand musste gewählt werden, die Plätze dabei hart umkämpft. 2021 war das. Jedes Ergebnis der Kampfabstimmungen konnten die Abgeordneten nach nur wenigen Sekunden bei Twitter nachlesen. Die Hauptstadtjournalisten schienen bestens unterrichtet. Als Folge wurden die Mitarbeiter aus dem Sitzungssaal geworfen, unter ihnen sollte die undichte Stelle sein. Doch die Journalisten hatten es viel leichter: Die konstituierende Sitzung fand wegen der Corona-Pandemie im Plenarsaal des Bundestages statt- die Abstimmungsergebnisse standen groß auf den Leinwänden - gut einsehbar von anderen Ebenen im Reichstagsgebäude.
Dreieinhalb Jahre später ist es wieder so weit, die neue AfD-Fraktion tritt nach der Bundestagswahl zum ersten Mal zusammen. Sie ist deutlich größer als die Alte, besteht aus 152 Abgeordneten nach zuletzt 77. Die Mehrheit davon (92) ist neu dabei. Eines ist spürbar, als die ersten Parlamentarier sich ihre Namensschilder und Unterlagen von den Fraktionsmitarbeitern holen: Hier kommt eine deutlich selbstbewusstere Truppe zusammen als noch zuvor. Und eine, die geschlossener zusammensteht als früher.
Dieses Mal tagen sie im Marie-Elisabeth-Lüders Haus auf der anderen Spreeseite gegenüber des Reichstages. Dass die Journalisten durch die große Glasfront des Saals wie damals bestens über die Abstimmungsergebnisse auf den Leinwänden informiert sind, es stört niemanden mehr. Im Gegenteil, alles wirkt, als würde man die Journalisten am liebsten gleich mit in die Fraktionssitzung holen: Seht her, wie harmonisch wir sind, wie gut vorbereitet. "Wir sind erwachsen geworden", verkünden die ersten Abgeordneten nach einer für AfD-Verhältnisse dann auch sehr kurzen ersten Sitzung. Nur gut zwei Stunden haben sie gebraucht, um den neuen Fraktionsvorstand zu wählen, der quasi der alte geblieben ist.
Viele in der Partei seit langem genervt von Krah
Dabei gab es im Vorfeld aufgrund zweier Personalien durchaus Diskussionen: Maximilian Krah, Direktkandidat aus Sachen, und Matthias Helferich, Landeslistenplatz sechs aus Nordrhein-Westfalen. Bei beiden war lange unklar, ob sie in die Fraktion aufgenommen werden. Bei beiden gab es am Ende aber keine Anträge auf Nicht-Aufnahme. Das ist aus mehreren Gründen bemerkenswert.
Krah legte in der AfD einen rasanten Aufstieg hin, gefolgt von einem rasanten Fall. Der promovierte Jurist war der Spitzenkandidat für die Europawahl 2024, manövrierte sich aber mit mehreren Skandalen vor der Wahl ins Aus. Erst gab es Vorwürfe der Korruption aus dem Ausland, dann wurde einer seiner engsten Mitarbeiter im Büro in Brüssel als chinesischer Agent enttarnt und verhaftet. Zum Schluss relativierte er die Verbrechen der Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg. Fast ging da noch unter, dass er auch den Feminismus als Krebs beschimpfte, Feministinnen als "grässlich und hässlich". In die AfD-Delegation im Europaparlament durfte er am Ende nicht. Heute sagt Krah, viele Vorwürfe hätten "sich in Luft aufgelöst". Es gebe immer Leute in der Politik und in einer Fraktion von über 150 Leuten, die einen ablehnen würden. "Aber: Die Nase passt mir nicht, ist kein politisches Argument", so Krah.
Alles vergeben und vergessen? Die Fraktionsvorsitzende Weidel gilt als entschiedene Gegnerin Krahs, sie musste hinter ihm die Scherben aufkehren. Hinzu kommt, dass Co-Chef Chrupalla wie Krah aus Sachsen kommt und kein Interesse an Konkurrenz um mögliche lukrative Posten in seinem Heimatbundesland in Zukunft hat. Ohnehin sind viele in der Partei seit langem genervt von Krahs polarisierendem und radikalem Auftreten in der Öffentlichkeit, vor allem auf Social Media. Jetzt gelobt er Zurückhaltung: "Ich bin ein einfacher Arbeiter. Im Weinberg des Herrn."
Das wäre zumindest ein neuer Maximilian Krah, der gerne mal mit Fransenjacke und Cabrio-Sportwagen Wahlkampf macht oder auf TikTok fordert, man solle herausfinden, "was Opa, Oma, Uroma und Uropa gemacht haben" und "wo sie herkamen, was sie gekämpft und gelitten haben." Die Vorfahren seien keine Verbrecher gewesen. Kommt mit Krah also neuer Ärger in die Fraktion? Er streitet das ab. Krah behauptet, er sei "mit großer Freude Frischling und Hinterbänkler". Und dann verspricht er: "Ich säge an keinem Stuhl!" Kleine Brötchen wolle er backen, habe keine Eile.
Einzelne Fraktionsmitglieder können über die angekündigte Zurückhaltung nur den Kopf schütteln. Absolut unglaubwürdig sei dies. Immerhin: Krah konnte der Versuchung widerstehen, in der ersten Sitzung gleich nach einem der Posten in der ersten Reihe zu greifen, sich für den Fraktionsvorstand zu bewerben. "Mal sehen, wie lange er wirklich die Füße stillhalten wird", raunen manche unter vorgehaltener Hand.
Es ist ein Spiel mit dem Feuer
Und dann wäre da noch Wackelkandidat Nummer zwei: Matthias Helferich. Der AfD-Mann aus Dortmund geht in seine zweite Legislaturperiode im Deutschen Bundestag. Es wird allerdings seine erste als Mitglied der AfD-Fraktion. 2021 war er selbst einem Ausschluss zuvorgekommen und der Fraktion nicht beigetreten. Während der Legislatur scheiterte ein Antrag zur nachträglichen Aufnahme. Auch diesmal gab es Versuche, seine Fraktionsmitgliedschaft zu verhindern. Schon Montagabend traf sich die NRW-Landesgruppe, dort soll es nach Informationen von Stern und ntv Versuche gegeben haben, Helferich auszuschließen. Der Versuch, der wohl von Vertrauten des Landesvorsitzenden Martin Vincentz ausging, misslang.
Am Morgen danach spielt sich Helferich als Opfer einer Intrige auf. "In der AfD spüre ich nie Rückenwind. Nur Messer", raunte er. Auf Nachfrage, wer ihn bekämpfe, lacht Helferich laut auf: "Ich hatte schon so viele Parteiausschlussverfahren, ich kann damit meine Wohnung tapezieren." Messer müsse er nicht mehr kaufen, er habe genug im Rücken. Helferich wirkte nervös, so sehr im Fokus der Fragen stellenden Journalisten zu stehen. Es schien, als sei ihm der Rummel um seine Person unheimlich. Auf die Frage, was sein Ziel in den kommenden Jahren in der Fraktion sei, antwortete Helferich mit nur einem Wort: "Überleben!"
Der AfD-Politiker ist wegen älteren Aussagen in Chatgruppen umstritten. Er hatte sich darin unter anderem als "freundliches Gesicht des NS" bezeichnet. Helferich selbst sagt, er habe dort lediglich die Zuschreibung eines politischen Gegners wiedergeben und sich darüber lustig gemacht. Selbst in der AfD gilt er vielen als zu rechts, offen kursiert dort auch sein Spitzname "Hitlerich". Eine Nähe zum Nationalsozialismus schloss Helferich auf Nachfrage "definitiv" aus. Gegen Helferich läuft auch ein Parteiausschlussverfahren, das die NRW-AfD im vergangenen Jahr angestrengt hatte. In einem Antrag an das Landesschiedsgericht der Partei hieß es damals, Helferich habe "die Außerlandesbringung von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund und weiteren Personenkategorien unter Anwendung staatlicher Zwangsmittel als politische Zielsetzung artikuliert". Dabei habe er die Betroffenen als "Viecher" bezeichnet.
Helferich selbst gibt sich wegen des Verfahrens betont gelassen: "Ich glaube nicht daran, dass dort ein Parteiausschluss am Ende dieses Verfahrens stehen wird." Ein Mitglied der Fraktionsspitze schüttelt darauf angesprochen mit dem Kopf. Er habe das genau andersherum gehört. Doch erstmal hat die Fraktion nun entschieden, auch in der Hoffnung, man könne die beiden so einfangen, sogar zügeln.
Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Das wird auch deutlich, als Helferich auf Nachfrage doch noch ein inhaltliches Ziel einfällt: Er wolle in den Kulturausschuss, "rechte Kulturpolitik" voranbringen, damit den angeblichen "linken Kulturkampf" beantworten. "Volkstheater, schöne Architektur, die nicht verhässlicht", so verstehe er das. Außerdem brauche es einen positiven Bezug zu Nation und Volk. Da mache die AfD in seinen Augen noch zu wenig.