Die SPD wirft CDU-Chef Merz indirekt den Bruch eines Wahlversprechens vor. Denn im Wahlkampf trat Merz bei Schuldenbremse und Sondervermögen auf die Bremse. Jetzt scheint das eine langfristig und das andere kurzfristig möglich zu sein.
Es wirkte fast wie ein Lob, was SPD-Chef Lars Klingbeil am Montagabend bei RTL Direkt zum Thema Schuldenbremse sagte: "Erst mal ist es gut, dass Friedrich Merz eine Position, die er bis zur Schließung der Wahllokale ja aufrechterhalten hat, dass man dort nichts verändert, dass er die jetzt sehr schnell geändert hat."
Aber beim scheidenden SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich klang die Verärgerung tags darauf deutlich durch: "Ich muss schon sagen, ich wundere mich über die letzten Stunden, wie schnell man plötzlich das Rad neu erfinden kann." Der mindestens implizite Vorwurf: Merz hat seine Meinung geändert. Er hat ein Wahlversprechen gebrochen.
Hat er? Hat CDU-Chef Merz vor der Wahl etwas anders über die Schuldenbremse gesagt als nach der Wahl? Und wie ist es mit einem weiteren Sondervermögen für die Bundeswehr? Denn auch da geht es um neue Schulden.
"Den Leuten wird Sand in die Augen gestreut", hatte Scholz gesagt
Im Wahlprogramm der Union heißt es: "Wir halten an der Schuldenbremse des Grundgesetzes fest. Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen." Von einer Reform steht da nichts.
Deshalb hatte Bundeskanzler Olaf Scholz Merz im Wahlkampf mehrfach vorgeworfen, um die Tatsache "herumzureden", dass höhere Verteidigungsausgaben sowie eine Fortsetzung der Ukraine-Hilfen nur mit einer Reform der Schuldenbremse zu schaffen seien. "Wenn wir zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben wollen, dann müssen wir jetzt ehrlich den Bürgerinnen und Bürgern sagen: Das geht nicht ohne Reformen der Schuldenbremse", sagte er im Quadrell von RTL und ntv.
Während Scholz sich darüber aufregte, den Leuten werde "Sand in die Augen" gestreut, sagte Merz lächelnd: "Schulden, Steuern erhöhen - mehr Geld ausgeben". Aus seiner Sicht war das wohl eine Zusammenfassung des SPD-Programms.
Schon im TV-Duell von ARD und ZDF hatten Scholz und Merz über dieses Thema gesprochen. Auch dort hatte Scholz für eine Reform der Schuldenbremse geworben, damit die Kosten für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr nicht auf "die normalen Leute" abgewälzt würden. Dem CDU-Chef warf er vor, Rüstungsausgaben mit sozialen Kürzungen finanzieren zu wollen.
Merz bestritt dies. Um die Staatseinnahmen zu erhöhen, setzte er auf "eine stark wachsende Volkswirtschaft". Und: "Wir werden natürlich auch Prioritäten im Haushalt neu setzen müssen." Der SPD warf er auch hier vor, immer nur Schulden und höhere Steuern vorzuschlagen.
"Man kann über alles diskutieren"
Über die Schuldenbremse sagte Merz allerdings auch: "Man kann über alles diskutieren. Aber das kommt sicher nicht am Anfang. Am Anfang kommt das Einsparpotenzial und das Wachstum und dann kommen Umschichtungen im Haushalt, die auch mal notwendig sind."
Das war Anfang Februar. Schon im November hatte Merz sich ebenso geäußert. Vor der Bundestagswahl komme eine Reform der Schuldenbremse zwar nicht infrage, machte er im Deutschlandfunk klar. Aber: Die Schuldenbremse "ist ein technisches Thema, das kann man so oder so beantworten", sagte er auf dem Wirtschaftsgipfel der "Süddeutschen Zeitung".
Eine Reform der Schuldenbremse hat Merz im Wahlkampf also nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Mit Blick auf ein neues Sondervermögen zur Finanzierung der Bundeswehr klang er ganz ähnlich. "Ich sehe im Augenblick überhaupt keine Notwendigkeit, über neue Sondervermögen oder zusätzliche Schulden zu diskutieren", sagte er im Dezember der Nachrichtenagentur Reuters. "Wir müssen zunächst einmal einen Kassensturz machen nach dem Regierungswechsel, und wir müssen dann die Prioritäten neu ordnen."
Dann kam der Tag nach der Bundestagswahl
Am Montag klang das etwas anders. Bei der Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus fragte eine Journalistin, wie Merz damit umgehen wolle, dass einerseits ein weiteres Sondervermögen notwendig werden könnte, andererseits aber AfD und Linke eine Sperrminorität im neuen Bundestag haben; Union, SPD und Grüne haben dort keine verfassungsändernde Mehrheit mehr. Merz entgegnete, das könne er noch nicht beantworten. Das sei eine schwierige Lage, "aber bevor ich darüber öffentlich spekuliere", wolle er zunächst mit SPD, FDP und auch den Grünen sprechen. "Der 20. Deutsche Bundestag ist im Amt bis einschließlich 24.03. Das heißt also, wir haben jetzt noch vier Wochen Zeit, darüber nachzudenken."
Auf Nachfrage, ob das bedeute, dass er eine Reform der Schuldenbremse oder ein neues Sondervermögen nicht ausschließe, sagte Merz, der Bundestag sei jederzeit entscheidungsfähig. "Wir können entscheiden. Ob wir entscheiden sollen oder müssen, darüber werde ich dann mit den Parteien sprechen, die jetzt noch im Deutschen Bundestag mit dem bestehenden Mandat ausgestattet sind", also mit SPD, Grünen und FDP.
Klingbeil hat also nicht ganz unrecht. Eine Reform der Schuldenbremse hat Merz vor der Wahl zwar nicht kategorisch ausgeschlossen. Aber zumindest am Montag klang er so, als könne er sich eine Reform der Schuldenbremse mit dem alten Bundestag vorstellen.
Am Dienstag war die Reform wieder vom Tisch
Das war am Dienstag dann wieder anders. Bei einem Auftritt vor der Presse gemeinsam mit CSU-Chef Markus Söder sagte Merz, "in der naheliegenden Zukunft" sei eine Reform der Schuldenbremse ausgeschlossen. Wenn sie überhaupt stattfinde, sei dies "eine ziemlich umfangreiche, schwierige Arbeit, die da zu leisten ist".
Denkbar sei allenfalls eine Aufstockung des bestehenden Sondervermögens. Darüber sprach er aber noch zurückhaltender als kurz vor ihm Söder und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt: "Wir sprechen miteinander, aber es ist viel zu früh, jetzt schon etwas zu sagen. Ich sehe es im Augenblick als schwierig an."