Alexej Nawalny war Putins wichtigster Widersacher. Auch nach dem ungeklärten Tod des Oppositionspolitikers in einem russischen Gefängnis gehen die Behörden gegen Menschen vor, die mit ihm zu tun hatten. Nun trifft es auch Medienvertreter. Das Auswärtige Amt protestiert gegen das Urteil.
Ein Gericht in Moskau hat vier Journalisten wegen des Vorwurfs der Zusammenarbeit mit der Organisation des verstorbenen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Angeklagten erhalten Strafen von jeweils fünfeinhalb Jahren, die sie laut der Richterin in einer Strafkolonie absolvieren müssen. Die Bundesregierung reagierte mit scharfer Kritik.
Die Richterin befand die im vergangenen Jahr festgenommenen Journalisten für schuldig, mit Nawalnys als "extremistisch" eingestufter Organisation zusammengearbeitet zu haben. Die Verurteilten wiesen die Vorwürfe zurück. Die Verhandlung an einem Bezirksgericht im Moskauer Stadtteil Nagatinski hatte, wie üblich bei politischen Prozessen in Russland, unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden. Nur bei der Urteilsverkündung waren Medienvertreter und andere Zuschauer zugelassen.
Hierfür kamen unter anderem rund hundert Unterstützer der vier Journalisten Antonina Krawzowa, Konstantin Gabow, Sergej Karelin und Artem Kriger in den Gerichtssaal. Sie applaudierten den vier Angeklagten, als diese den Saal betraten. Auch westliche Diplomaten waren zur Urteilsverkündung erschienen.
Krawzowa berichtete unter dem Namen Antonina Faworskaja regelmäßig für die Nachrichtenseite Sotavision über die gegen Nawalny geführten Strafverfahren. Sie hatte das letzte Video von Nawalny aufgenommen, das ihn kurz vor seinem Tod im Februar 2024 während einer Gerichtsverhandlung zeigt, an der er per Video aus einem Straflager in der Arktis teilnahm.
Unabhängiger Journalismus als "Extremismus"
Den Video-Journalisten Gabow und Karelin wird vorgeworfen, für Nawalnys Kanäle in Onlinemedien gearbeitet zu haben. Beide hatten zudem mit ausländischen Medien zusammengearbeitet: Gabow mit der Nachrichtenagentur Reuters und Karelin mit der Nachrichtenagentur Associated Press sowie der Deutschen Welle. In einer von unabhängigen Medien verbreiteten Erklärung schrieb Gabow, unabhängiger Journalismus gelte heutzutage in Russland als "Extremismus".
Kriger berichtete für Sotavision über politische Prozesse und Proteste. Vor Gericht sagte er, er habe nicht vor einer Verfolgung fliehen wollen. "Ich wollte zeigen, dass es möglich und nötig war, in Russland Journalismus zu machen", sagte er nach Angaben von Sotavision.
Nach der Urteilsverkündung rief der mit 24 Jahren jüngste der vier Journalisten: "Alles wird gut. Alles wird sich ändern. Diejenigen, die mich verurteilt haben, werden statt mir hier sitzen." Aus dem Publikum rief jemand: "Ihr seid der Stolz Russlands."
Verurteilte wollen in Berufung gehen
Iwan Nowikow, der Anwalt Krigers, kündigte an, dass alle vier gegen ihr Urteil in Berufung gehen würden. Gabows Anwältin Irina Birjukowa erklärte, während der Gerichtsverhandlung seien "keinerlei Beweise" dafür vorgelegt worden, dass die Angeklagten "irgendein Verbrechen" begangen hätten, ihre Schuld sei nicht bewiesen worden.
Die Sprecherin von Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja, Kira Jarmisch, erklärte auf X, die Journalisten seien "einfach verurteilt worden, weil sie ihre Arbeit getan haben". Sie müssten "umgehend" freigelassen werden.
Auch in Deutschland löste die Verurteilung der vier Journalisten Empörung aus. Der Intendant der Deutschen Welle, Peter Limbourg, erklärte, Russland beweise mit ihrer Verurteilung "erneut mit ganzer Kraft", dass es ein Staat sei, der "Rechtsstaatlichkeit missachtet", indem "mutige Journalisten wie Schwerverbrecher" behandelt würden.
Auswärtiges Amt übt scharfe Kritik
Das Auswärtige Amt erklärte auf X, die Urteile gegen Krawzowa, Gabow, Kriger und Karelin zeigten, dass unter dem russischen Präsidenten Wladimir Putin "die in der Verfassung verbriefte Pressefreiheit nichts wert" sei. "Im Gegenteil: Journalist*innen werden für Jahre ins Gefängnis geworfen", schrieb das Außenministerium weiter.
Die russische Regierung hat ihr bereits seit Jahrzehnten praktiziertes Vorgehen gegen unabhängige Medien mit Beginn des Angriffskriegs in der Ukraine noch einmal verschärft. Kurz nachdem sie im Februar 2022 Truppen in die Ukraine geschickt hatte, trat beispielsweise ein Gesetz in Kraft, das Kritik an der Armee verbietet. Die meisten unabhängigen Journalisten haben das Land verlassen.
Nawalny war der wichtigste Widersacher von Kremlchef Putin. Nawalnys Organisation war kurz vor Russlands Einmarsch in der Ukraine als "extremistisch" eingestuft worden. Seit seinem bisher nicht aufgeklärtem Tod im Gefängnis gehen die russischen Behörden vermehrt gegen Angehörige Nawalnys und dessen ehemalige Mitarbeiter vor. Im Januar waren drei seiner Anwälte zu langen Gefängnisstrafen verurteilt worden.