Deutschland kann aufatmen: Im Koalitionsvertrag versprechen Union und SPD, die Strompreise deutlich zu senken - für private Haushalte und die Industrie. Doch die Kosten sind enorm und bisher nicht gedeckt. Und eine Vereinbarung könnte langfristig sogar zu höheren Strompreisen führen.
Für viele Menschen sind es wahrscheinlich die schönsten Sätze des schwarz-roten Koalitionsvertrags: "Wir wollen Unternehmen und Verbraucher in Deutschland dauerhaft um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde (kWh) entlasten", schreiben Union und SPD in dem 146 Seiten starken Papier. Die Strompreise sollen "dauerhaft niedrig und international wettbewerbsfähig" sein.
Doch das kostet Geld und schon während der Koalitionsverhandlungen wurde offensichtlich: Die Parteien haben unterschiedliche Vorstellungen, wo gespart werden soll. Und der Plan, Gaskraftwerke zur Stabilisierung der Strompreise zu nutzen, könnte die Strompreise erhöhen, nicht senken.
Ermäßigungen für Tausende Unternehmen
Die wichtigste Änderung im Vergleich zur Ampel wurde bereits während der Sondierungsgespräche bekannt: Union und SPD werden die Stromsteuer nach der Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler als Sofortmaßnahme auf das europäische Mindestmaß senken. Zusätzlich möchten sie Umlagen und Netzentgelte reduzieren. Für mehr Planungssicherheit sollen die Netzentgelte sogar dauerhaft gedeckelt werden.
Private Haushalte profitieren von jeder dieser Maßnahmen, die Wirtschaft dagegen nicht. Denn 9000 Unternehmen mit konstant hohem Stromverbrauch erhalten bereits jetzt Ermäßigungen auf ihren Strompreis: Sie müssen entweder gar keine Netzentgelte, Umlagen oder Stromsteuer zahlen - oder nur reduzierte Sätze.
Union und SPD möchten aber auch die Stahl- oder Chemieindustrie entlasten, sie im internationalen Wettbewerb stärken und Arbeitsplätze sichern. Deshalb haben sich die Parteien zusätzlich auf einen Industriestrompreis geeinigt. Sie lassen im Koalitionsvertrag allerdings offen, wie genau der umgesetzt werden soll:
"Für die anderweitig nicht weiter zu entlastenden energieintensiven Unternehmen führen wir im Rahmen der beihilferechtlichen Möglichkeiten eine besondere Entlastung (Industriestrompreis) ein. Dazu gehört auch, die energieintensiven Verbraucher ohne Flexibilisierungspotenzial wie bisher zu entlasten."
Habeck setzt sich durch
Der Industriestrompreis ist keine neue Idee, Noch-Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte ihn bereits vor drei Jahren gefordert, war damit aber innerhalb der Ampel gescheitert. Aus den damaligen Plänen ist bekannt: Es gibt Stolpersteine. Zum Beispiel muss der Industriestrompreis von der EU genehmigt werden, Wettbewerbsklagen von anderen EU-Staaten sind nicht ausgeschlossen.
Klar ist auch, dass ein besonders günstiger, weil subventionierter Strompreis für große Verbraucher den Staat viel Geld kosten wird - genauso wie niedrigere Strompreise für Millionen private Haushalte. Das belegen die Kalkulationen der Verhandlungsführer:
- Für die Senkung der Stromsteuer veranschlagen Union und SPD für dieses Jahr Kosten von 4,8 Milliarden Euro. Im kommenden Jahr 2026 steigen sie auf 6,3 Mrd. Euro.
- Mit den Netzentgelten wird der Umbau des Stromnetzes finanziert: Durch die Senkung würden Union und SPD in diesem Jahr auf Einnahmen in Höhe von 5,4 Mrd. Euro verzichten. Bis 2027 steigt der Ausfall auf 6 Mrd. Euro.
Wie viel Geld der Industriestrompreis kosten wird, können die Verhandler nicht beziffern. Auch zu dieser Frage existieren jedoch Kalkulationen von Robert Habeck: Soll der Strompreis für die gesamte Industrie für ein Jahr um 1 Cent je Kilowattstunde gesenkt werden, werden 2 Milliarden Euro fällig.
Aktuell liegt der Strompreis für Industrieunternehmen ohne Vergünstigungen bei 18 Cent je Kilowattstunde. Mit Vergünstigungen sinkt er auf 10 bis 12 Cent. Eine Senkung auf die angepeilten 6 Cent, die als wettbewerbsfähig gelten, würde demnach zwischen 12 und 24 Milliarden Euro im Jahr kosten.
Strompreiszonen abgelehnt
Bereits in den Sondierungsgesprächen hat die Arbeitsgruppe "Klima und Energie" deshalb Sparvorschläge gemacht. Allerdings hat es nur einer in den Koalitionsvertrag geschafft.
Die SPD war für die Einrichtung von Strompreiszonen, beispielsweise eine im Norden und eine im Süden. Das ist sinnvoll in Ländern, die wie Deutschland viel erneuerbare Energie erzeugen. Denn die unterschiedlichen Zonen zeigen genau an, wo Strom benötigt wird und wo nachgebessert werden muss. Dieses System ist effizienter als das deutsche, in dem Strom im Bedarfsfall aus dem Ausland importiert oder von der Küste quer durchs Land geleitet wird, das Netz verstopft und damit Kosten verursacht.
Doch die Union lehnt Strompreiszonen ab, denn die teuerste wäre wahrscheinlich eine süddeutsche oder bayerische Zone: Dort sitzen viele große Unternehmen und somit Verbraucher, die dann unter dem geringen Windkraft- und Netzausbau der CSU leiden würden.
Comeback der Freileitung
Die Union hat deshalb einen anderen Sparvorschlag gemacht - und durchgesetzt: 2016 führte die Große Koalition unter Angela Merkel den Erdkabelvorrang beim Netzausbau ein. Diese kosten jedoch vorsichtig geschätzt doppelt so viel wie Freileitungen. Unter Friedrich Merz vollziehen Union und SPD deshalb die Kehrtwende: Stromautobahnen sollen, wo möglich, wieder als Überlandtrassen gebaut werden.
Laut Bundesnetzagentur kann Deutschland in den nächsten 20 Jahren 16,5 Milliarden Euro einsparen, wenn man beim Netzausbau auf Freileitungen statt auf Erdleitungen setzt. Eine große Summe, doch damit könnten Union und SPD lediglich ein Jahr lang niedrige Strompreise für Industrie und private Haushalte finanzieren. Wie es danach weitergehen soll, ist unklar.
Auch, weil die Koalition bis 2030 viele neue Gaskraftwerke mit einer Kapazität von bis zu 20 Gigawatt bauen möchte, um die Energieversorgung in einer Dunkelflaute abzusichern. Das ist wichtig und notwendig. Allerdings kündigen Union und SPD im Koalitionsvertrag ebenfalls an, die Reserve nicht nur für Versorgungsengpässe einzusetzen, sondern ausdrücklich auch "zur Stabilisierung des Strompreises".
Steigen die Strompreise doch?
Davon können Energieexperten wie Claudia Kemfert nur abraten. Die Ökonomin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) weist darauf hin, dass Erdgas immer teurer wird. Baut man viele neue Gaskraftwerke und setzt diese ein, um Schwankungen von Wind- und Solarenergie auszugleichen, wird die Stromerzeugung teurer und somit auch der Börsenstrompreis: Der wird im europäischen Strommarkt immer von der teuersten Quelle bestimmt. In vielen Fällen sind dies Gaskraftwerke.
Die Konsequenzen können fatal sein. Schlimmstenfalls könnte der Stabilisierungsmechanismus die Senkung der Stromsteuer und die Deckelung der Netzentgelte überkompensieren. Der Traum von dauerhaft niedrigen Strompreisen wäre trotz milliardenschwerer Subventionen ausgeträumt.