PKK-Anführer Öcalan ruft zum Ende des bewaffneten Kampfes auf

Mehr als 45.000 Menschen sind im Kampf zwischen der PKK und dem türkischen Staat seit 1984 ums Leben gekommen. Anführer Öcalan sitzt seit einem Vierteljahrhundert in Haft. Nach mehr als 40 Jahren Kampf ruft er nun zur Auflösung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei auf. Im Gegenzug war ihm die Freilassung in Aussicht gestellt worden.

Nach mehr als 40 Jahren Kampf hat der in der Türkei inhaftierte Kurdenführer Abdullah Öcalan zur Auflösung der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und zum Gewaltverzicht aufgerufen. Öcalan forderte seine Anhänger in einer Erklärung dazu auf, nach dem jahrzehntelangen blutigen Konflikt zwischen der PKK und dem türkischen Staat ihre Waffen niederzulegen. Zuvor hatte eine Delegation der pro-kurdischen Partei DEM den wegen Hochverrats inhaftierten Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali bei Istanbul besucht.

Die DEM hatte am Vorabend eine "historische" Erklärung Öcalans angekündigt. Öcalans Botschaft wurde nach dem Gefängnis-Besuch von Abgeordneten der DEM bei einer Pressekonferenz in Istanbul verlesen. "Alle bewaffneten Gruppen müssen ihre Waffen niederlegen und die PKK muss sich auflösen", hieß es in der Erklärung. Der 75-jährige Öcalan ließ zudem erklären, er übernehme die "historische Verantwortung für diesen Aufruf". Der Vize der in der Türkei regierenden AKP, Efkan Ala, rief die PKK-Anhänger auf, dem Appell Öcalans zu folgen. Die Türkei könne so von ihren Fesseln befreit werden.

In den wichtigsten kurdischen Städten im Südosten des Landes wollten die Menschen die Pressekonferenz eigentlich auf großen Leinwänden verfolgen. In Diyarbakir, Van und Mersin hatten sich bereits viele Menschen zu Musik und Tanz versammelt. Sie mussten ihre Pläne jedoch ändern, weil die türkischen Behörden die Leinwände nicht genehmigten. Ähnlich war die Situation in Nordsyrien und im Irak, wo auch eine große kurdische Minderheit lebt. Die DEM und die PKK hatten sich eigentlich dafür ausgesprochen, dass Öcalan seinen Aufruf per Videobotschaft und nicht schriftlich verbreitet. Der türkische Justizminister Yilmaz Tunc hatte dies jedoch ausgeschlossen.

Das Auswärtige Amt bewertet den Aufruf positiv. "Damit bietet sich die historische Chance, die jahrzehntelange Spirale von Terror, Gewalt und Vergeltung zu durchbrechen, die zehntausende Menschen das Leben gekostet hat", teilte ein Sprecher mit. Es seien weitere Schritte erforderlich auf dem Weg zu einer tragfähigen Lösung für die Menschen in der Türkei. Dem türkischen Parlament komme eine zentrale Rolle zu, diesen politischen Prozess zu gestalten und vereinbarte Kompromisslösungen verbindlich zu verankern. "Als Bundesregierung stehen wir bereit, zu tun, was wir können, um einen solchen Prozess zu unterstützen", erklärte der Sprecher.

Erdogan hatte Kurswechsel initiiert

Die PKK kämpft seit 1984 gegen den türkischen Staat und für die Rechte der kurdischen Bevölkerung. Sie wird von Ankara und seinen westlichen Verbündeten als Terrororganisation eingestuft. Etwa 45.000 Menschen sind bei den Kämpfen zwischen der PKK und der türkischen Armee bisher getötet worden. Ziel der PKK war ein eigenständiges Kurden-Gebiet. 2015 scheiterten Friedensgespräche.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein rechtsnationalistischer Koalitionspartner MHP waren im Herbst überraschend auf Öcalan zugegangen und hatten ihm eine frühere Freilassung in Aussicht gestellt, falls er die PKK auflöst. Im Anschluss stattete eine DEM-Delegation dem inhaftierten Kurdenführer zwei Besuche ab - der heutige Besuch war der dritte.

Die Oppositionspartei DEM war früher unter dem Namen HDP tätig. Die türkische Regierung wirft ihr vor, der politische Arm der von der türkischen Justiz verbotenen PKK zu sein, was die DEM jedoch bestreitet.

Vor zwei Monaten hatte Öcalan erklären lassen, er habe "die Kompetenz und die Entschlossenheit", sich an dem von Erdogan und MHP-Chef Devlet Bahceli eingeleiteten Kurswechsel zu beteiligen. Er erklärte sich bereit, "die notwendigen positiven Schritte zu unternehmen" und einen Aufruf zu veröffentlichen. Der MHP-Chef Devlet Bahceli hatte Ende vergangenen Jahres eine mögliche Freilassung Öcalans thematisiert, sollte die PKK die Waffen niederlegen.

Schärferes Vorgehen gegen DEM

Ungewiss ist nun, wie Öcalans Aufruf zum Gewaltverzicht bei den kurdischen Kämpfern in den Bergen im Norden des Irak sowie in Syrien ankommt. In Nordsyrien versucht das kurdisch geführte und von den USA unterstützte Militärbündnis der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) seine mühsam errungene Autonomie gegen die Türkei und die neuen islamistischen Machthaber in Damaskus zu verteidigen. Ankara sieht die zu den SDF gehörende kurdische YPG als einen Ableger der PKK an.

Erdogan hatte sich im Oktober zwar hinter die geplante Aussöhnung gestellt, seitdem aber nur noch wenig dazu gesagt. Gleichzeitig setzte seine Regierung die Opposition aber verstärkt unter Druck: Hunderte Politiker, Aktivisten und Journalisten wurden festgenommen, zehn Bürgermeister der DEM wurden wegen angeblicher "Verbindungen zum Terrorismus" abgesetzt.

Trotzdem hoffen viele Menschen in der Türkei, dass Öcalans Aufruf eine Friedenslösung voranbringen und zu Zugeständnissen an die Kurden führen wird, die mindestens ein Fünftel der 85 Millionen Einwohner ausmachen.

Öcalan war im Februar 1999 vom türkischen Geheimdienst gefasst worden. Er wurde unter anderem wegen Hochverrats zunächst zum Tode verurteilt, entging durch die Abschaffung der Todesstrafe in der Türkei jedoch seiner Hinrichtung. Seitdem verbüßt Öcalan in fast völliger Isolation auf der Insel Imrali eine lebenslange Freiheitsstrafe. Dennoch ist er nach wie vor die unangefochtene Autorität für viele Kurden.