Nachnamen sind mehr als nur Zuordnungen: Sie sind Zeitzeugen der deutschen Geschichte. ntv.de hat mit einem Experten für Namensforschung gesprochen, der erklärt, wie unsere Nachnamen vor über 1000 Jahren entstanden sind und was sie bedeuten.
In Deutschland gibt es circa 850.000 verschiedene Nachnamen. Die Liste der häufigsten Familiennamen führen Müller, Schmidt und Schneider an. Unser Nachname begleitet uns von klein auf, oft ein Leben lang und ist zentraler Bestandteil unserer Identität. Doch wie sind sie eigentlich entstanden?
Einer, der sich mit dieser Frage schon seit über 50 Jahren beschäftigt, ist Jürgen Udolph, ehemaliger Professor an Deutschlands einzigem Lehrstuhl für Namensforschung in Leipzig. "Unsere Nachnamen sind vor etwa 1000 Jahren entstanden, weil die Bevölkerung immer weiter zugenommen hat", so Udolph. Vornamen allein hätten nicht mehr ausgereicht, um Menschen zu unterscheiden. "Es brauchte Zusätze, um Walter den Schmied, Walter den Bauern und Walter den Lahmen zu unterscheiden", so der Experte.
Die Herkunft unserer heutigen Nachnamen lässt sich dabei vier großen Gruppen zuordnen. Die erste Gruppe bilden alte Vornamen wie Walter, die sich - teils in veränderter Form - als Nachnamen durchgesetzt haben. Auch sein eigener Nachname geht auf einen alten Vornamen zurück, erklärt der Namensforscher: Udolph stamme von Odwolf ab, einem sehr alten germanischen Namen. Die zweite Gruppe der Nachnamen sind von Berufen abgeleitet. "Auch die häufigsten Namen wie Müller und Schmidt gehören dazu", erklärt Professor Udolph.
Nachnamen der dritten Gruppe beziehen sich auf die Herkunft einer Person: Herr Merseburg aus der Stadt Merseburg im südlichen Sachsen-Anhalt zum Beispiel oder Frau Westphal aus dem heutigen Westfalen. Zu der dritten Gruppe gehören aber auch Örtlichkeiten: Familie Brückner beispielsweise kommt von einer Brücke, Familie Eichler wohnte an einer Eiche, so Udolph.
"Die spannendste Gruppe"
Gruppe vier der Nachnamen ist für Udolph "die spannendste Gruppe": Sie bezieht sich auf Eigenschaften einer Person, die sogenannten Übernamen. Diese sagen etwas über eine Person aus. Hier leiten sich die Nachnamen zum Beispiel von körperlichen Merkmalen ab: Typische Beispiele sind Großkreu(t)z, Kraus(e) oder Klein.
Aber auch Gewohnheiten sind zu Nachnamen geworden: Frau Baldauf steht früh auf, Herr Bierfreund ist selbsterklärend. Tiere sind Ursprung für Nachnamen wie Hase oder Falke. Auch Nachnamen wie Pfefferkorn oder Kürbis - aus der Kategorie Pflanzen - sind in Deutschland als Familiennamen vertreten, so Udolph. Kleidung, im Fall von Familie Kittel, oder Rohstoffe, zum Beispiel bei Familie Demant - von Diamant - fungieren ebenfalls als Namensgeber. Die Gruppe lässt sich entsprechend fortführen.
Belege für die Entstehung der Nachnamen reichen bis in das 12. Jahrhundert zurück. Eine zentrale Rolle spielen alte Kirchenbücher, in denen die Rede von "Karl, genannt der Schmied" ist. "So wurde gekennzeichnet: Ich meine eben den Karl, der Schmied ist", so Udolph. Diese Zusätze wurden später zu Familiennamen.
Unsere Nachnamen sind also mehr als bloße Zuordnungen - sie sind "Zeugen der Geschichte", betont Professor Udolph. "Es gibt nichts Spannenderes als Namen", findet er. Schließlich steckt hinter jedem Nachnamen ein Stück deutscher Historie, die es wert ist, entdeckt zu werden.
Übrigens: Andere Länder sind bei der Nachnamensgebung weitaus kreativer als die Deutschen. In Finnland zum Beispiel ist es möglich, dass Paare bei der Hochzeit aus Teilen der jeweiligen Geburtsnamen einen neuen, gemeinsamen Nachnamen zusammenbasteln. Zu den weltweit häufigsten Nachnamen zählen "Li" und "Wang", die besonders in China verbreitet sind.