Die Leute lieben den Verrat, aber nicht Friedrich Merz

Die Union und der künftige Kanzler rutschen in den Umfragen ab, es geschieht ihnen recht. Doch die in dieser Woche beschlossenen Schulden stabilisieren die Macht und könnten beim Kampf gegen die AfD helfen.

Die Leute lieben den Verrat, so heißt es, aber nicht den Verräter. Damit muss Friedrich Merz fürs Erste leben. Es geschieht ihm recht. Die abrupte Abkehr von den Schuldenbremsen-Schwüren des Wahlkampfes war verstörend, sie ist hochgradig erklärungsbedürftig und politisch kinderleicht zu attackieren. Die Wut über die Wende reicht tief ins bürgerliche Lager, Merz' politische Basis in der CDU bebt. Die wieder und wieder aufgetischte Erzählung der AfD, wonach am Ende doch links bekommt, wer CDU-rechts wählt, tut ihr Übriges.

Dabei kann Friedrich Merz einer Mehrheit der Vernünftigen durchaus erklären, warum die Extraschulden für Verteidigung eilbedürftig und staatstragend zugleich sind. Warum das für den ebenso großen zweiten Schuldentopf auch gelten soll, kann er hingegen nicht erklären. Den musste er der SPD als dem einzig möglichen Koalitionspartner schon vor dem versprochenen Kassensturz im Sozial- und Rentenstaat gewähren. Aber das kann der Wahlsieger nicht zugeben, ohne schwach zu wirken.

Ein Glaubwürdigkeitsproblem hatte Friedrich Merz schon vor der Wahl, wie die Umfragen zeigten. Nach der Wahl ist es noch größer geworden. Im Gefolge sackt auch die Union in den Umfragen ab, derweil die AfD zulegt. Niemand soll sich etwas vormachen: Das geht auf das Konto des künftigen Kanzlers. Doch von Dauer muss der doppelte Negativtrend nicht sein.

In denselben Umfragen lobt eine Mehrheit nämlich die große Neuverschuldung für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz. Das ist kein Wunder, denn mit dem vielen Geld verbindet sich wieder einmal die Hoffnung auf einen funktionierenden Staat: dichte Dächer auf Schulen, Brücken, die nicht bröseln, oder eine Verwaltung, die ohne Umstände liefert.

Ruhige Regierung heißt gute Regierung

Freilich kauft das Geld als Erstes etwas anderes: Ruhe in der Koalition. Während sich die alte Koalition besonders an den Haushaltslöchern aufrieb und schließlich auseinanderfiel, müssen sich die neuen Koalitionäre nicht fortwährend um knappes Geld streiten. Sich nicht fortwährend auf offener Bühne zu beharken: Allein das dürfte allgemeine Zustimmung bei den Bürgerinnen und Bürgern schaffen, denn eine ruhige Regierung ist für viele immer noch gleichbedeutend mit einer guten Regierung. Ob es stimmt oder nicht: Angela Merkel schaffte so ihre Wahlsiege.

Auf der anderen Seite ist völlig offen, ob die großen Schulden tatsächlich das Wachstum antreiben werden. Viele Projekte sind in der Vergangenheit ja nicht am Geld gescheitert, sondern an lahmer Planung, zu viel Bürokratie und an zu wenig Bauarbeitern. Wenn es schlecht läuft, macht die neue Nachfrage die Infrastruktur nicht bald besser, sondern das Bauen nur schnell teurer - der Staat könnte mit teuren Investitionen auf Pump die Inflation anheizen. Die Zinsen treibt er in jedem Fall, und das trifft auch alle Privatleute, die sich Geld leihen.

Die große gesellschaftliche Wette, deren Einsatz die Billion Euro Schulden sind, läuft jenseits der wirtschaftlichen Eckdaten: Lässt sich in absehbarer Zeit damit Zufriedenheit "kaufen", besonders in Ostdeutschland? Oder wird das neu angefachte Glaubwürdigkeitsproblem des Friedrich Merz auf Dauer schwerer wiegen und Teile der CDU weiter für die AfD mobilisieren? Man wird bei dieser Gelegenheit lernen, ob die vermeintlich oder tatsächlich "Abgehängten" sich von einer faktischen Verbesserung ihrer Lage überhaupt noch beeindrucken lassen. Oder ob der Bruch mit "denen da oben" längst vollzogen und staatlicherseits nicht mehr zu heilen ist, weder mit guten Worten noch mit guten Taten.

Immerhin: Die AfD hat sich festgelegt und alles unternommen, um die großen Schulden zu verhindern. Sie hat die Beschlüsse einen "finanzpolitischen Staatsstreich" geschimpft. Das sollte die neue Regierung bei jedem Vorhaben herausstreichen, das mit den Schulden finanziert wird. Bei der Bundestagswahl 2029 wird abgerechnet, ob die historisch hohe Verschuldung, anders als viele erwarten, mehr Nutzen als Schaden gebracht hat. Und der Nutzen wird auch daran zu messen sein, was das viele Geld mit der Wählerschaft der AfD gemacht hat.