Kühe schaden dem Klima. Durch ein neues Mittel soll sich das ändern. Der Futtermittelzusatz Bovaer verhindert, dass Kühe Methan in die Atmosphäre rülpsen. Schadet er den Menschen, wie viele behaupten?
Briten, die demonstrativ Milch aus Plastikflaschen in Spülbecken und Toilette kippen: Etliche solcher Protestvideos gibt es in den sozialen Netzwerken. In Großbritannien ist daraus Ende vergangenes Jahr eine Art Trend geworden. Die User sprechen von "vergifteter Milch", die "in den Abfluss" gehöre. "Ich trinke diesen Dreck nicht", sagt eine Frau in einem Tiktok-Video.
Mit derartigen Aussagen haben Menschen in Großbritannien gegen einen neuen Futtermittelzusatz für Milchkühe protestiert. Das Mittel heißt Bovaer. Es soll den Methangas-Ausstoß der Tiere deutlich herunterschrauben.
Ende November hat alles angefangen: Der dänisch-schwedische Lebensmittelkonzern Arla kündigte an, dass er diesen neuen Zusatzstoff auf rund 30 Farmen in Großbritannien testen werde. Partner waren britische Supermarktketten, unter anderem Tesco, Aldi und Morrisons.
Die Folge: ein Aufschrei in den Sozialen Medien. Es werden Falschmeldungen verbreitet. Die Milch von Kühen, die Bovaer gefressen haben, sei für Menschen gesundheitsschädlich, heißt es. Angeblich, so wird behauptet, soll Bill Gates in die Einführung von Bovaer verwickelt sein. Nutzer rufen dazu auf, Produkte von Arla zu boykottieren und wegzukippen.
"Taucht weder in Milch noch Fleisch auf"
Die Behauptungen stimmen aber nicht. Bovaer schadet weder Mensch noch Tier, sagt Imme Dittrich, Fachbereichsleiterin Rinderhaltung bei der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Das Mittel taucht weder in der Milch noch im Fleisch auf."
Dittrich hat am Lehr- und Versuchszentrum (LVZ) Futterkamp in Schleswig-Holstein Bovaer von Februar bis September 2024 an Milchkühen getestet. Ziel des sechsmonatigen Versuchs sei es gewesen, herauszufinden, welche Klimaschutzmaßnahmen Landwirte und Rinderhalter ergreifen können, um weniger umweltschädliche Gase auszustoßen.
Denn Kühe und andere Wiederkäuer schaden dem Klima. Als Nebeneffekt ihrer Verdauung setzen sie das Treibhausgas Methan frei. 2023 rülpsten Wiederkäuer rund 26 Millionen Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre - der größte Anteil in der deutschen Landwirtschaft, die laut Umweltbundesamt insgesamt für rund zwei Drittel des Methan-Ausstoßes in Deutschland verantwortlich ist. Methan wird zwar schneller abgebaut als CO2, ist kurzfristig aber schädlicher für das Klima.
Kuh rülpst weniger Methan
Bovaer wird unter das Futter gemischt. Das weiße Pulver besteht aus Alkohol und Nitrat und unterdrückt das Enzym, das bei der Verdauung im Pansen der Kuh - dem Vormagen - verschiedene Gase zu Methan kombiniert. Die ursprünglichen beiden Komponenten des Mittels werden anschließend im Verdauungssystem abgebaut.
Das Ergebnis: Die Kuh rülpst weniger klimaschädliches Methan aus. In Futterkamp konnte durch den Einsatz des Futtermittelzusatzes 16 bis 23 Prozent Methan pro Tag eingespart werden, bilanziert Dittrich im "Wieder was gelernt"-Podcast - "ein sehr gutes Ergebnis" und eine Bestätigung vorheriger Studien. Der Methangas-Ausstoß der Versuchsgruppe habe bei 360 bis 370 Gramm täglich gelegen, der der Kontrollgruppe bei mehr als 400 Gramm pro Tag.
Das sei noch nicht das Maximum: Der niederländische Hersteller DSM spricht sogar von einer Methanreduktion von 30 Prozent bei Milchkühen und 45 Prozent bei Fleischrindern. Durch Bovaer könne man im Jahr pro Tier eine Tonne Treibhausgasemissionen einsparen. Das klappe aber nur, wenn die Rinder Silage - gegorenes Gras - fressen, erklärt die Rinderexpertin: "Wenn man sehr faserreich füttert, ist der Methanausstoß größer." Ihre Kühe hätten weniger Methan ausgestoßen, weil sie eine Mischung aus Kraftfutter, Faserkomponenten und Mineralfutter bekommen haben.
Bovaer in 45 Ländern zugelassen
Die Milch aus Futterkamp wurde nicht weggekippt wie in Großbritannien, sondern es gibt sie ganz regulär im Supermarkt zu kaufen. Viele Hersteller haben den Zusatzstoff in Europa bereits getestet: Arla hatte schon Anfang 2023 in Deutschland einen Pilotversuch gemacht und dafür den Milchbauern Bovaer finanziert. Zusätzlich liefen Projekte in Dänemark und Schweden. Tests gab es auch bei Danone in Belgien, Friesland Campina in den Niederlanden sowie bei Babybell-Hersteller Bel in Frankreich und der Slowakei.
Immerhin hat Bovaer in der EU seit drei Jahren eine Zulassung. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat den Futtermittelzusatz nach aufwändiger Prüfung als sicher für Tiere und Menschen eingestuft. Inzwischen ist er in über 45 Ländern zugelassen, unter anderem in Australien, Brasilien und Kanada.
Trotzdem nutzen das Mittel bisher nur wenige Milchbetriebe in Deutschland. Das könnte an den hohen Zusatzkosten liegen. Bovaer kostet laut Hersteller DSM etwa einen Cent pro Liter Milch. Das klingt nicht viel, aber auf die Milchleistung gerechnet summiert sich das: Eine Kuh gibt laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) rund 8500 Liter Milch pro Jahr. Hochgerechnet auf die durchschnittliche Größe von Milchviehbetrieben in Deutschland entstehen den Landwirten pro Jahr und Kuh Extrakosten von über 6000 Euro.
Landwirte zahlen drauf
Diese Ausgaben müssen irgendwie wieder rein - zum Beispiel über den Milchpreis. Ein Anreiz wäre Geld vom Staat - der zahlt den Landwirten aber aktuell nichts dazu, hat ein Sprecher des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ntv.de gesagt. Anders als in Dänemark: Dort bekommen Milchbauern seit diesem Jahr eine staatliche Förderung. Dänemark hat eine neue Klimaschutzstrategie - unter anderem müssen Landwirte für den Methanausstoß ihrer Nutztiere bezahlen.
Einen anderen Grund für die bisher geringe Nutzung sieht die Expertin in der mangelnden Forschung zum langfristigen oder dauerhaften Einsatz. "Ob dadurch die Tiergesundheit beeinflusst wird, können wir noch nicht abschließend beurteilen. Daher würde ich zum aktuellen Zeitpunkt nicht sagen: Liebe Landwirte, setzt alle Bovaer ein." Mehr Erfahrungen in der Praxis seien nötig.
Bovaer wird höchstwahrscheinlich nicht das einzige Mittel seiner Art bleiben: Wissenschaftler der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) forschen momentan an einem ähnlichen Futtermittelzusatz. Er soll günstig und in großen Mengen herstellbar sein. Und noch stärker wirken als Bovaer: Dadurch sollen Rinder 80 Prozent weniger Methan ausstoßen. In etwa fünf Jahren soll er fertig sein.