Vom Ampel-Dampfer zum APO-Tretboot - wohin treibt die FDP? Christian Lindner, der Humorbeauftragte des Liberalismus, hat sich in den Vaterschaftsurlaub verabschiedet. Seine Partei steckt tief im Ausrichtungsclinch. Das Hornberger Schießen ist im vollen Gange.
Halleluja, was für eine turbulente Woche im Regierungsviertel: Drama, Enttäuschung, Annäherung, zwischenzeitliche Verhandlungserfolge, Betrug, Hinterlist, Unehrlichkeit und die reale Gefahr, eine hoffnungsvolle Verbindung müsse am Ende doch kolossal scheitern. Aber genug vom Ehefiasko bei Ex-Bundespräsident Christian Wulff und Noch-Gattin Bettina. Kommen wir zu den tatsächlichen Desastern des aktuellen Politikbetriebes. Also der FDP. Denn auch bei den Turbokapitalismus-Testimonials aus dem Hans-Dietrich-Genscher-Haus läuft das Jahr 2025 bislang unter dem Motto "Scheidungen". Zunächst ließen sich 95,7 Prozent aller deutschen Wähler von der einstmals im zweistelligen Ergebnisbereich operierenden Neo-Nischenpartei scheiden. Anschließend folgte die Auflösung sämtlicher Eheverträge zwischen Reichstag und FDP-Fraktion.
Alle ehemaligen FDP-Bundestagsabgeordneten haben jetzt also mindestens vier Jahre frei. Zeit, die man sinnvoll nutzen könnte. Zum Beispiel mit der Gründung einer Partei, die mehr zu bieten hat als D-Day-Pläne und jeder Menge Ideen, die selbst Hobbyjournalisten von "Hart aber Fair" zumeist mit einfachen Mitteln als unsinnig entlarven. Stattdessen macht man allerdings lieber dort weiter, wo man bereits die Ampelkoalition in den Abgrund lamentiert hat: beim Hornberger Schießen auf die eigenen Reihen. Fußballclubs und Parteien nehmen sich da nicht viel. Wenn es plötzlich Abstieg statt Champions League heißt, greift die Logik der Rettungsankerphilosophie und der Trainer wird vor die Tür gesetzt.
Christian Lindner, der Loriot der Realpolitik
Insofern ist es keine Überraschung vom Kaliber "Sascha Lobo trägt jetzt die Frisur von Julia Klöckner", dass FDP-Grandseigneur Christian Lindner nicht mehr für Führungsposten zur Verfügung steht. Mit dem historisch entwürdigenden Komplettabsturz von der Regierungsbank direkt unter die Fünf-Prozent-Hürde möchte auch Deutschlands frechster Arbeitsloser nicht unnötig lange in Verbindung gebracht werden. Immerhin lag die Demütigung an der Wahlurne nicht an ihm. Er hat stets alle Register gezogen. In den schweren Stunden nach dem Ampel-Aus hatte er mit seinem Comedy-Programm "Ich trete zu den Neuwahlen an, um in der künftigen Regierung meine Arbeit als Finanzminister fortzusetzen" sogar noch versucht, die Freien Demokraten mit feingeistig selbstironischer Komik zurück in die Herzen der pseudointellektuellen Vordenker-Bubble zu rücken.
Geholfen hat es wenig. Selbst bei RTL fand sich kein Programmplatz für den Humorbeauftragten des Liberalismus. Und da läuft sogar Kaya Yanar in der Kategorie "lustig". Unverständlich, dass Lindner in der Lach-Industrie nicht der rote Teppich ausgerollt wird. Überstrahlt doch der Pyrotechniker des Gag-Feuerwerks mit seinem Credo "Besser keinen Nonsens als schlechten Nonsens" seit Jahren die Witze-Industrie. Auch den für männliche, weiße Letztwähler oftmals entscheidungsrelevanten misogynen Zoten-Faktor hielt Christian-Otto Lindner-Waalkes stets hoch. Legendär ist sein Beischlaf-Bonmot: "Ich denke gerne daran, dass Linda und ich ungefähr 300-mal den Tag zusammen begonnen haben. Ich spreche über unser tägliches, morgendliches Telefonat. Nicht, was ihr jetzt denkt."
Männer, die auf Zoten starren
Was genau die anwesenden vollzeitliberalen Lindner-Claqueure seinerzeit gedacht haben ("Schläft der bei der Teuteberg auf der Couch? Ist der zu Hause rausgeflogen?"), ist nicht überliefert. Klar ist lediglich: Die Freien Demokraten heißen Freie Demokraten, weil sie demokratisch sind. Und Frei. Vor allem von politischer Relevanz. Verständlich, dass Lindner, der Richard David Precht der Cochonnerie, sich unter diesen Umständen von der Kapitänsbrücke der vom regierungsrelevanten Ozeandampfer zum außerparlamentarischen Tretboot heruntergeampelten FDP verabschiedet, bevor es mal wieder (da ist sie wieder, die Analogie zum Profifußball) heißt: "Wir müssen die Niederlage jetzt knallhart analysieren!" Diesem schmerzhaften Prozess würde ich mich auch entziehen. Wer wollte denn freiwillig beim Schalke 04 der Parteienlandschaft auf Fehlersuche gehen, wenn er sich auch nonchalant in den Vaterschaftsurlaub verabschieden kann, bevor er mit etwas boulevardrespektvoller Karenzzeit in den Vorstand der Porsche AG wechselt?
Lindners selbstinszenierte Frühpensionierung setzt jedoch nicht nur die Anzüglichkeiten-Junkies auf Frivol-Turkey. Nein, auch seiner Partei hinterlässt er ein Führungsvakuum, das den inoffiziellen Lobbyverband der Besserverdiener in machtpolitische Grabenkämpfe stürzen lässt. Etwas, das selbst ein Wolfgang Kubicki nicht irgendwie den Grünen in die Schuhe schieben kann. Die FDP liegt in Trümmern - und das nur, weil das deutsche Wahlvolk zu blöd ist, die elementare Bedeutung von eFules für PKW zu begreifen.
Das Z in FDP steht für "Zusammenhalt"
Folgerichtig spitzt sich bei den Wärmepumpenhassern der FDP auf den letzten Metern zum Bundesparteitag am 16. Mai der interne Posten- und Ausrichtungsclinch dramatisch zu. Auf der einen Seite wittert der rechte Parteiflügel die Chance, den soeben am Eisberg Ampelkoalition zerschellten FDP-Dampfer durch seichtes Anbiedern am rechtsäußeren Extremistenrand wieder in ruhigere Fahrwasser manövrieren zu können. Die parteieigene Rechtsruck-Fraktion möchte auf Schmusekurs mit der AfD gehen. Ihre inoffizielle Pressesprecherin Katja Adler kann dieses Ansinnen sogar, naja, begründen: "Ich halte die Brandmauer für falsch. Mit der zwingen uns Linke in die politische Bewegungslosigkeit!" Auf das Narrativ muss man auch erstmal kommen: Die FDP liegt aktuell bei 3,5 Prozent, weil sie nicht genug mit Alice Weidel kuschelt. Wer so denkt, der sprengt auch sein Auto in die Luft, weil Dieselkraftstoff so teuer geworden ist.
Auf der anderen Seite der liberalen Neuformationsbewegung steht der linke Flügel der FDP mit seinen Hauptprotagonisten aus dem eigentlich als Post-Lindner-Boygroup vorgesehenen Liberalisierungs-Trio Konstantin Kuhle, Marco Buschmann und Johannes Vogel. Buschmann war Bundesminister und möchte sich noch nicht auf seine Karriere als Techno-DJ konzentrieren. Kuhle gilt ohnehin als Querulant, seit er bei "Chez Krömer" einst andeutete, dass er Wolfgang Kubicki möglicherweise nicht für den mit Abstand allerbesten FDP-Politiker aller Zeiten hält. Und Vogel? Der hat sich während der kurzen Olaf-Scholz-Kanzler-Ära so tapfer als freundliches Gesicht der Ampelversöhnung durch zahllose Abende bei Markus Lanz gequält, dass ihm allein dafür der Parteivorsitz ehrenhalber verliehen werden müsste.
Mindestanforderung: Klare Kante zur AfD
Als Außenstehende Nicht-FDP-Wählerin kann ich derweil nur hoffen, dass es mehr von Buschmann, Vogel und Kuhle unter den Lindner-Erben gibt als Katja Adlers. Und das, obwohl Adler eine Frau ist und Buschmann, Vogel und Kuhle immer ein bisschen klingt wie Bendini, Lambert und Locke. Um diese filigrane Mafia-Anspielung zu durchschauen, müsste man allerdings den Film "Die Firma" kennen. In diesem Meisterwerk von Sydney Pollack spielt Tom Cruise, der Christian Lindner Hollywoods, einen jungen Anwalt, der durch seinen Arbeitgeber in dubiose Geschäfte verwickelt wird. Ein bisschen also wie die zuweilen leicht skurril wirkenden Verbindungen einzelner FDP-Protagonisten zur Fossil-Lobby. Viele Grüße an Frank Schäffler an dieser Stelle.
Aber mal was anderes: Hurra! Diese Woche blieb glücklicherweise politikjesusfrei. Nach Lindners patzigem Abgang aus Finanzministerium und Parteiführung hegten da einige schmerzerprobte FDP-Sympathisanten bereits schlimme Befürchtungen. Denn Ostern, da geben totgesagte Messiasse ja traditionell gerne mal spontan ihre Comebacks. Lindner aber ist nicht Gottes Sohn. Wie auch, man kann sich ja nicht selbst gebären. Folglich blieb er bei Frau und Kind und überließ seine längst in den Machtkampfmodus verfallene Ex-Partei weiterhin den bereits seit dem 24. Februar über seinem Parteivorsitz-Kadaver kreisenden Karriereaasgeiern.
Wie sagen die Stammesältesten einer Familie so häufig: Früher war nicht alles schlecht. Kaum ist das Gelächter darüber verhallt, dass Lindner vor der Bundestagswahl durch Talkshows und Interviews tingelte, um der Welt zu verkünden, die FDP würde eine Koalition mit den Grünen ausschließen. Als Spitzenkandidat einer Partei, die damals in den Umfragewerten bei 3,5 Prozent lag, eine durchaus bizarre Taktik. Ein bisschen so, als würde ich E-Mails an Ryan Gosling, George Clooney, Harry Styles, Timothée Chalamet und Brad Pitt schreiben, in denen ich ankündige, ich stünde für eine Heirat nicht zur Verfügung. Inzwischen jedoch ist den meisten neutralen FDP-Beobachtern das Lachen vergangen. Eine Partei, die sich manifestiert in der Mitte der Gesellschaft verortet, dann aber die Grünen verteufelt, während man der AfD den Hof macht, das kann wirklich niemand für langfristig attraktiv und gesellschaftlich akzeptabel halten. So eigentümlich es also klingen mag, sollte sich der FDP-Flügel jenseits von Buschmann, Kuhle und Vogel durchsetzen: Kann ich dann Christian Lindner noch mal sehen?