Nur Weiterbildung hilft den Arbeitslosen? Falsch!

Die künftige Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag "alle bisherigen Instrumente und Strukturen" der Arbeitsämter "auf ihre Wirksamkeit prüfen und anpassen". Damit kommt auch die florierende Weiterbildungsindustrie unter die Lupe. Gut so.

Wenn fortgesetzt Gründe erfunden oder gesellschaftspolitisch organisiert werden, weshalb um die drei Millionen Arbeitslose gar nicht oder nicht so bald wieder arbeiten können - dann hat das Folgen. Weiterbildungswahnsinn und wenig Wachstum sind solche Folgen, um nur zwei zu nennen.

Und natürlich die Kosten: Einhunderttausend Arbeitslose neu in Arbeit ersparen den öffentlichen oder den Beitragskassen zwischen zwei und drei Milliarden Euro im Jahr, sagen Experten. Je nachdem, was die ehemaligen Arbeitslosen in ihrer neuen Anstellung verdienen. Damit sind wir schnell wieder bei Hubertus Heil, dem (noch) SPD-Arbeitsminister. Deutschland müsse "ein Land der Weiterbildung und ein Einwanderungsland" werden, erklärte er einmal wörtlich im Deutschen Bundestag und später immer wieder. Nur Weiterbildung schaffe "nachhaltige Arbeitsmarktintegration".

Wer die einschlägigen Kurse und Programme noch nicht umfassend durchlaufen hat, soll es mithin auf dem Arbeitsmarkt eher gar nicht erst versuchen. Einfache Arbeit ist nicht gut genug und nicht sicher genug. Sagt, im Klartext, ein Minister, der für den gesetzlichen Mindestlohn steht, der eben diese einfache Arbeit auskömmlich macht. Das ist nicht leicht zu verstehen. Ist Arbeit zu Mindestlohn ein Sozialstigma? Will die Sozialdemokratie nur noch Arbeitnehmer wertschätzen, die sich ein Leben lang fortbilden und am Ende zu den Besserverdienern gehören? Vielleicht sollte die SPD ihre (ehemaligen) Wähler ab und zu auch einmal so nehmen, wie sie sind.

Wildwuchs bei der Weiterbildung

Damit will ich den Wert von Bildung oder Weiterbildung keineswegs anzweifeln. Aber ein paar Fragen an dieses öffentlich-rechtliche und private System hätte man schon: Schließlich hat es seit 2010 mehr als ein Jahrzehnt rund sieben Milliarden Euro aus Steuer- oder Beitragsmitteln verstoffwechselt, jährlich. Die Gelder fließen in den meisten Jahren annähernd hälftig für "Erstausbildung" und "Weiterbildung". Allerdings sinkt in diesen Jahren die Arbeitslosigkeit stetig, und zurück bleibt ein Sockel von inzwischen drei Vierteln aller Langzeitarbeitslosen, die keinen Berufsabschluss haben.

Wenn dem so ist: Was haben wir für die insgesamt über 80 Milliarden Euro bekommen? Was hat das viele Geld gekauft, wenn die Bilanz so mager ist? Ein gar nicht so kleiner Teil der Antwort findet sich auf einer Website für Hartz-IV-Betroffene, auf der skurrile Jobcenter-Kurse gesammelt werden: Arbeitslose spielen Kaufmannsladen. Malen Ausmalbilder zur Verbesserung der Feinmotorik. Oder absolvieren einen Kurs zum Pferdewirt, von dem mir ein "Spiegel"-Kollege erzählte. Geübt wurde an Holzpferden.

Angst hingegen macht ein Blick auf das eigene große Weiterbildungsportal der Bundesagentur für Arbeit. Angst vor sinnloser Vergeudung und undurchschaubarem Wildwuchs, also idealen Bedingungen für große und kleine Korruption oder Vetternwirtschaft. Auf besagtem "Kursnet" habe ich in einem Selbsttest Ende 2024 unter dem Button "Umschulungen" etwas mehr als 50.000 Angebote bundesweit gefunden. Keine davon tauchte unter dem Suchwort "Fachverkäufer Bäckerei oder Fleischerei" auf, einer mit Suchwort "Kfz-Mechatroniker", 28 mit "Autolackierer". Für "Mediengestalter" gab es zur selben Zeit hingegen 4060 Treffer, also Umschulungsangebote. Deutlich krasser sah es unter dem Button "Weiterbildung" aus: Für "Friseur" fanden sich 127 Angebote bundesweit, für "Elektriker" waren es 1734. Aber unter dem Suchwort "coach/coaching" tauchten mehr 168.881 (!) Angebote auf, je 20 passen auf eine Seite.

Frühe Bildung wäre sinnvoller

Ein weiterer, verdienstvoller Selbstversuch der Wochenzeitung "Freitag" ergab, dass "einige große Weiterbildungsanbieter" mehrere Hundert Kurse offerierten und besonders vom "sogenannten Online-Präsenzunterricht" profitierten - Unterricht also, der in keiner Art von Klassenzimmer stattfindet, sondern ausschließlich am Computer. Ob diese Form der virtuellen Frontalbetreuung mehrere Tausend Euro pro Teilnehmer wert ist? Man darf zweifeln. Aber nicht allzu öffentlich, versteht sich, denn wer an Sinn und Nutzen der deutschen Weiterbildungsindustrie zweifelt, zieht rasch den Vorwurf auf sich, er wolle die Arbeitslosen in unverschuldeter Unbildung verkümmern lassen.

Aber mal ehrlich: Wenn "Land der Weiterbildung" bedeutet, hunderttausendfach Coaching-Kurse anzubieten, dann bin ich mir nicht sicher, ob das sein Geld wert ist und ans Ziel führt. Vielleicht wären die mindestens 80 Milliarden Euro besser in die Grund- und Hauptschulen geflossen, um dort Lesen, Schreiben und Rechnen erfolgreicher zu vermitteln. Ich würde ein "Land der frühen Bildung" einem "Land der Weiterbildung" jedenfalls vorziehen - und aufhören, nicht weitergebildete Arbeitslose ausnahmslos als zweitklassig und de facto nicht vermittelbar abzustempeln. Sie werden nämlich gebraucht, und vielleicht täte das dem einen oder anderen von ihnen auch gut: gebraucht zu werden.

Die Folgen der Fehlsteuerung erfassen längst das ganze Land und bedrohen seinen Wohlstand. Der Fach- und Arbeitskräftemangel gilt als eines der wichtigsten Wachstumshemmnisse in Deutschland. Und tatsächlich: Wenn ein zeitweilig recht hoher Krankenstand das deutsche Bruttoinlandsprodukt eines ganzen Jahres um 0,5 Prozentpunkte drücken kann, was machen die weit mehr als eine Million völlig unbesetzten Stellen aus? Der DIHK schätzt den entgangenen Umsatz auf mindestens einhundert Milliarden Euro pro Jahr. Das Kiel Institut für Weltwirtschaft geht davon aus, dass der Arbeitskräftemangel das mögliche Wirtschaftswachstum im langjährigen Schnitt um zwei Drittel reduziert. Weil Produktion und Umsatz unterbleiben, entgehen dem Staat mutmaßlich Milliarden an Steuereinnahmen, und es entstehen ihm zugleich Milliarden an Sozialkosten. Eine spezielle Betrachtung, wie viel Bruttosozialprodukt die Unterversorgung bei den Ungelernten kostet, habe ich übrigens nicht gefunden. Vielleicht gibt es sie, aber im Zentrum der Debatte steht sie nicht. Da stehen allein die "Fachkräfte" - auch eine Entscheidung, auch ein Werturteil. Aber kein kluges.

"Berufsausbildung nicht erforderlich"

Für 2024 wurde sogar mit den jahrzehntelangen Beteuerungen gebrochen, staatlicherseits aus dem Ausland nur diese sogenannten Fachkräfte zu holen. Zuwanderung und Asylsuchende ohne Schul- oder Berufsausbildung gab es in derselben Zeit ja durchaus genug. Aber plötzlich sollten es auch 25.000 ungelernte Ausländer sein, die freie Stellen in der Gastronomie, Hotellerie, an Flughäfen oder in der Lagerhaltung besetzen sollten. Wer möchte, kann über die damalige Pressemitteilung der Bundesagentur für Arbeit schmunzeln: "Am 1. März tritt die zweite Stufe des neuen 'Fachkräfteeinwanderungsgesetzes' in Kraft", heißt es da. "Diese ermöglicht es Arbeitgebern, in Spitzenzeiten kurzfristig ausländische Arbeitskräfte einzustellen. (…) Eine Berufsausbildung oder ein Studium sind nicht erforderlich." Den Leuten in einem Gesetz zur "Fachkräfteeinwanderung" gleich auch das Gegenteil unterzujubeln, ungelernte Hilfskräfte nämlich, das ist nicht ohne Humor. "Das kann in Spitzenzeiten helfen, wenn es nicht möglich ist, ausreichend inländisches Potenzial zu erschließen", hieß es in der Mitteilung noch.

Aber was unterscheidet die ungelernten Ausländer, die zum Arbeiten ins Land geholt werden sollen, von den ungelernten Ausländern, die schon im Land sind, als Flüchtlinge und Asylsuchende nämlich? Der einzige Unterschied, auf den ich komme, ist dieser: Die hiesigen "inländischen Ausländer" beziehen Bürgergeld und werden ab einem bestimmten Zeitpunkt ihres Aufenthalts von der Arbeitsagentur betreut. Die "ausländischen Ausländer" hingegen sollen arbeiten und mutmaßlich bei der Arbeit ihr Deutsch lernen oder verbessern. Die inländischen Ausländer wiederum tun das in Deutsch- und Integrationskursen der Weiterbildungsindustrie, deren Erfolg indes nicht so durchschlägt, dass sie in Arbeit vermittelt werden. Man merkt: Ohne eine gehörige Portion Zynismus lässt sich das Trauerspiel um die Millionen Arbeitslosen nicht beschreiben.

Der Text ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch "Falsche Wahrheiten: 12 linke Glaubenssätze, die unser Land in die Irre führen" von Nikolaus Blome. Der Autor ist Politikchef von RTL und ntv.